Süddeutsche Zeitung

Theater Wasserburg:Hörspiel unterm Baum

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Zum Weihnachtsfest verschenkt das Theater Wasserburg eine Version ihrer Inszenierung von "Pension Schöller" in ganz neuem Gewand

Von Johanna Feckl

Weihnachten ist in diesem Jahr irgendwie kaputt: Kein Treffen mit Freunden am Glühweinstand, keine Nikolausfeier der Kinder in Kindergarten und Schule, keine Weihnachtsfeier im Büro, kein Gedränge in den Läden der Innenstädte auf der Suche nach Geschenken, kein Heilig Abend mit Oma und Opa oder den Eltern, kein Verwandten-Hopping an den Feiertagen - alles ist anders an Weihnachten im Corona-Jahr 2020, alles doof. Nicht ganz. Denn das Theater Wasserburg hat sich etwas einfallen lassen, ein Geschenk, bei dem niemand Gefahr läuft, die AHA-Regeln zu missachten, und Potenzial hat, dieses komische Weihnachten doch noch zu einem wahrhaftigen Schmankerl werden zu lassen: Eine Hörspiel-Inszenierung der Theater-Komödie "Pension Schöller".

In seiner Urfassung stammt der Dreiakter von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby. In Berlin wurde das Stück vor mehr als einem Jahrhundert, nämlich im Jahr 1890, zum ersten Mal aufgeführt. Die Komödie erzählt von dem Rentier Philipp Klapproth - nicht zu verwechseln mit dem Rudolph-Rentier vom Weihnachtsmann -, der seinem Neffen finanzielle Unterstützung in Aussicht stellt. Einzige Bedingung: Dieser müsse ihm den Besuch einer "Kuranstalt für Nervöse" verschaffen, also zu einem Haus, wo Menschen leben, bei denen es im "Oberstübchen" nicht ganz rund läuft. Denn dann könnte er, Philipp Klapproth, endlich mal mit einer richtig guten Geschichte am Stammtisch auftrumpfen. In seiner Not sagt der Neffe zu, obwohl er keinen Zugang zu einer solchen Anstalt hat. Stattdessen macht er seinen Onkel mit den, nun ja, extravaganten Bewohnern einer Pension bekannt, der Pension Schöller. Denn, so besagt es die Hörspiel-Fassung vom Stück: "Es ist doch meistens im normalen Leben schon schwer, zu unterscheiden, wer bekloppt ist, und wer nicht."

In der Inszenierung von Nik Mayr feierte "Pension Schöller" im November 2019 seine Premiere - damals, als Theaterensembles noch gefahrenlos vor Publikum spielen konnten. Im Frühjahr 2020 durchkreuzte Corona die restliche Spielzeit, das Theater Wasserburg erklärte im April die komplette Spielzeit vorzeitig für beendet. Im Herbst konnte das Ensemble vier Wochen lang unter Corona-Auflagen spielen, bevor die Türen von der Politik ein zweites Mal geschlossen wurden. Wann es wieder weiter gehen kann - wer weiß das schon. Ist das Hörspiel also so eine Art Notnagel?

Das kommt darauf an, wie man die Sache betrachtet: Ein Notnagel, der zumindest ein bisschen Geld in die ansonsten vermutlich recht mau aussehenden Theaterkassen spült, das ist das Hörspiel nicht. Theaterleiter Uwe Bertram und sein Team haben das Stück zum kostenlosen Stream und Download auf die Theater-Webseite gestellt. Einem lokalen Radiosender in Rosenheim haben sie das Hörvergnügen kostenfrei zur Verfügung gestellt; in naher Zukunft wird es dort wohl auch ausgestrahlt, wie Bertram sagt.

Ein Notnagel in kreativer Hinsicht ist die Hörversion von "Pension Schöller" aber schon. "Mir tut es weh, dass wir so einen kreativen Stau haben, weil wir nicht spielen können", so Bertram weiter. "Das tut mir einfach Leid." Die Tonspur hat das Ensemble in den Räumen des Theaters aufgenommen - jeder saß isoliert, über Kopfhörer waren alle zusammengeschaltet und haben das Stück dialogisch eingesprochen. "Das war neu für uns und eine sehr spannende Erfahrung", lautet Bertrams Urteil über den Schaffensprozess. "Wir haben unendlich viel gelacht und könnten bestimmt noch eine ganze Stunde Outtakes zusammenschneiden." Der 58-Jährige war es auch, der die Theater-Version in die Hörspiel-Fassung umschrieb. Die Postproduktion übernahm er zusammen mit Nik Mayr.

Der eigentliche Sinn und Zweck des Hörspiels ist wohl aber der hier: Ein großes Dankeschön an das treue Publikum. "Die Leute kaufen ins Blaue hinein Gutscheine bei uns", sagt Bertram. Er erzählt von einem Fall, in dem jemand einen Gutschein im Wert von 1000 Euro gekauft hat. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer hätten sich während des ersten Lockdowns erkundigt, wie man unterstützen kann, und das setze sich nun im zweiten Lockdown fort - "solchen Menschen kann ich doch dann kein Hörspiel verkaufen", so der 58-Jährige. Er betont, dass das Theater zwar nicht reich sei, aber es auch in der Corona-Zeit nicht von Existenzängsten geplagt werde.

Per Live-Stream weiterhin Theater zu spielen, wie es einige Häuser in diesen Zeiten tun, kam für Bertram bislang nicht in Frage. "Film und Bewegtbild ist für mich ein ganz anderes Medium als Theater", sagt er. Für ihn ist das Publikum ein wichtiger Faktor für das Gelingen eines Theaterabends. Das würde einfach wegfallen; ein Film könne nicht auf sein Publikum reagieren. Der 58-Jährige lenkt ein: Freilich sei ein Hörspiel auch statisch. Aber, und das ist wohl der entscheidende Unterschied für Bertram: "Das Ohr ist im Vergleich zum Auge das fantasiebegabtere Organ."

Und außerdem: "Pension Schöller" wurde als Theaterstück schon oft genug im Fernsehen ausgestrahlt, dreimal wurde das Stück als Film adaptiert - aber eine Hörspiel-Adaption, das ist ein unverbrauchtes Medium für die Komödie. Wie gut also, dass Bertram und sein Team dem Ruf ihrer, äh ja, dem Ruf ihrer Ohren gefolgt sind und die "Pension Schöller" als Hörspiel inszeniert haben. Denn es kommt einem absoluten Ohren-Schmaus gleich, 69 Minuten lang den skurrilen Bewohnern und Bewohnerinnen der Pension zu lauschen. Es ist anders als die Bühnen-Version, klar. Aber es bleibt keineswegs hinter einem Live-Erlebnis zurück, wie Bertram sagt - zumindest nicht für die Zuhörerin. Bis auf zwei Ausnahmen gehören die Stimmen der Figuren zu den Schauspielern aus der Bühnen-Version. Sollte der Lockdown uns noch eine Weile beschäftigen, dann könnte es schon bald ein zweites Hörspiel vom Wasserburger Ensemble geben, so viel verrät Bertram schon einmal. Möglicherweise wird es "Der Kirschgarten", ein durchaus ernsteres Stück im Vergleich zur "Pension Schöller". Aber versprechen will der 58-Jährige noch nichts. Es wird sich zeigen, denn: Die Zeit vergeht - ist ja logisch.

Das Hörspiel gibts kostenlos zum Nachhören online unter www.theaterwasserburg.de/fuer-gaeste/ - auch ein Download ist möglich.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2020
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