Süddeutsche Zeitung

SZ Adventskalender:Die schwierigsten Jahre

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Eine alleinerziehende Mutter muss ihre vier Kinder mit Hartz IV durchbringen. Die Wohnung ist zu klein, von den beiden Vätern kommt kaum Unterstützung. Im Lockdown gab es viele Tränen.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Auf dem Schild, das an der Tür zum Flur hängt, steht "Ausfahrt Freihalten", schwarze Lettern auf gelbem Grund. "Das ist, weil die Kinder hier immer ihr Zeug abladen, da kommt man dann kaum noch durch", sagt Amira K. (Name geändert). Die 32-jährige Mutter lebt mit ihren vier Kindern in einer kleinen Dreizimmerwohnung im Landkreis. Die Wohnung ist alt, manche der Fensterscheiben in den Durchgangstüren sind kaputt und notdürftig mit Klebeband repariert. Eng ist es auch, es stapeln sich Klamotten im Flur, Geschirr in der Küche, Spielsachen im Kinderzimmer.

"Es sind viele Tränen geflossen, auf beiden Seiten."

Dazwischen wuseln die Kinder umher, zwischen fünf Monaten und zehn Jahren. Die jüngste Tochter sitzt bei der Mutter auf dem Schoß im Wohnzimmer, als sie anfängt zu erzählen. "Es war nicht leicht, die letzten Jahre, vor allem während des Lockdowns. Es ist immer ein Hin und Her, ein Kind muss in die Schule, das andere in Quarantäne. Und dann noch die Hausaufgaben, auf so engem Raum... Da haben wir uns oft gestritten und es sind viele Tränen geflossen, auf beiden Seiten", berichtet Amira K. "Wir sind total fertig mit der Situation."

Die älteren beiden Kinder, nennen wir sie James und Melina, stammen vom Ex-Mann der Frau K., von dem sie seit 2016 getrennt lebt: "Wir waren uns nie einig, er ist einfach nie dagewesen, auch vor Corona schon nicht. Es wäre schöner, wenn die Kinder mit ihrem Vater aufwachsen könnten, aber ich habe jetzt nicht mehr die Kraft, das zu reparieren." Nicht einmal per Skype oder WhatsApp melde er sich verlässlich. Die Situation mit dem Vater der beiden anderen Kinder, nennen wir sie Franziska und Emilia, ist auch nicht einfach. "Wir waren eigentlich auch schon getrennt, während Corona haben wir uns aber wieder zusammengerauft."

Auf die Unterhaltszahlungen kann sie sich nicht verlassen

So wenig wie auf väterliche Fürsorge kann sie sich auf Unterhaltszahlungen verlassen, die mal zu spät, mal gar nicht kommen. Dementsprechend knapp ist die Haushaltskasse. Amira K. lebt derzeit von Hartz IV, größere Ausgaben sind eine Belastung: "Ich habe mir neulich Winterreifen gekauft, zu spät eigentlich schon, aber ich konnte sie mir einfach nicht leisten, und auch jetzt ging das nur durch eine Unterstützung des Landratsamts und indem ich mir den Rest leihe." Dann habe sie sich auch noch sterilisieren lassen, was viel Geld gekostet habe, das sie selbst bezahlen musste. "Bei einer jungen, gesunden Frau ist es nicht vorgesehen, dass jemand das machen will."

Franziska und Emilia waren nicht geplant, auch wenn sie jetzt natürlich willkommen sind. "Ich bin einmal mit der Spirale schwanger geworden, einmal auf der Pille", berichtet Amira K.. "Was soll man denn da machen?" Ihre letzte Schwangerschaft hat sie dann lange verheimlicht, sie hätte eigentlich einen Job gehabt, den sie dann doch ablehnen musste. Das war frustrierend für sie. "Ich möchte ja arbeiten, es geht nur nicht mit den Kindern." Sie hofft aber, sobald es geht, wieder arbeiten gehen zu können.

Eine größere Sozialwohnung wäre schön - aber davon gibt es nicht viele

Auch auf andere Dinge hofft die vierfache Mutter. Zum Beispiel, dass es mit der Beziehung jetzt doch klappt, sie hat in dieser Hinsicht schon einen langen Leidensweg hinter sich. "Ich wurde früher auch misshandelt, ich möchte jetzt nicht erzählen von wem", gibt sie an. Auch eine größere Sozialwohnung mit vier Zimmern wäre schön, "aber da hat man uns schon gesagt, das sei unmöglich, davon gibt es einfach zu wenige. Also machen wir es uns hier gemütlich", sagt sie und deutet auf den Weihnachtsbaum im Wohnzimmer. Dass alle gesund bleiben, das sei ihr aber das Wichtigste.

Doch auch Gegenstände, die für viele alltäglich sind, würden ihr sehr helfen: "Ein Regalsystem für das Kinderzimmer wäre super, gerade haben wir da gar nichts. Und eine neue Couch auch, die hier ist jetzt über zehn Jahre alt, älter als James", sagt sie und wippt auf dem ramponierten Polster auf und ab. Auf eine Nachfrage gibt Amira K. dann zu, dass ein Wäschetrockner eigentlich auch fehlt. "Ich will ja nicht zu viel verlangen", schiebt sie nach. Im Moment steht der Wäscheständer ständig im Wohnzimmer, weil die Familie natürlich Berge an Wäsche produziert. Bis Amira K. und ihre Kinder also in eine neue, größere Wohnung ziehen können, wird die Familie alle Hände voll zu tun haben, um die Ausfahrt frei zu halten.

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