Süddeutsche Zeitung

Suche nach einem Stammzellenspender:Gute und schlechte Tage

Lesezeit: 4 min

Der 13-jährige Yannik aus Forstinning hat Leukämie

Christina Schönstetter

Es ist ein guter Tag für Yannik. Ein guter Tag, das bedeutet, dass Yanik im Gemeinschaftsraum der Station sitzen und Blumen aus buntem Tonpapier basteln kann. "Origami", erklärt er. Ein guter Tag, das ist ein Tag, an dem Yannik sich nicht andauernd übergeben muss, weil die Medikamente der Chemotherapie seinem Körper das Äußerste abverlangen.

Seit September 2012 verbringt der 13-jährige Yannik Neumüller aus Forstinning die meiste Zeit auf der Kinder-Onkologie im Klinikum Schwabing. Er hat lymphatische Leukämie, Blutkrebs. Die Behandlung mit den starken Medikamenten spricht an, doch sein Zustand verändert sich ständig. In dieser Woche kam schließlich die endgültige Nachricht, dass Yannik eine Stammzellenspende braucht. Einen passenden Spender haben die Ärzte noch nicht gefunden. "Im näheren Familienkreis passt leider niemand. Jetzt werden Cousins und Cousinen getestet, dann bleibt nur noch die Spenderdatei", sagt Gabriela Neumüller, die Mutter von Yannik.

Sie war es auch, der zuerst auffiel, dass etwas mit ihrem Sohn nicht stimmte. Ganz zufällig entdeckte sie einen geschwollenen Lymphknoten im Nacken von Yannik. Obwohl Gabriela Neumüller selbst eine medizinische Ausbildung hat und genau weiß, dass das kein Grund zu übertriebener Sorge ist, war sie sofort beunruhigt. Die 40-Jährige spricht nicht phrasenhaft vom "Mutterinstinkt", sie nennt es nur ein "unwohles Gefühl".

Danach ging alles sehr schnell. Bluttest und Ultraschall waren auffällig, so dass Yannik sofort ins Kinderkrankenhaus nach Schwabing musste. Nicht einmal eine Woche war da vergangen, seit Mutter Gabriela Neumüller den Lymphknoten entdeckt hatte. "Yannik ist ein starker Junge, der packt das", hatte Frau Neumüller damals gedacht. Trotz dieser positiven Einstellung war es schwer, für Yannik, aber auch für die ganze Familie Neumüller. 2009 war Yannik schon einmal mehrere Wochen im Krankenhaus gewesen, als er beim Altpapier-Sammeln der Fussball-Jugend vom Laster gefallen war. Damals hatte er schwere Kopfverletzungen davon getragen, seitdem hört er nichts mehr auf dem rechten Ohr. Als er nur zwei Jahre nach dem schweren Unfall die Diagnose Leukämie bekam, war Yanniks Reaktion nachvollziehbar. "Mama, warum schon wieder ich?", hatte er gefragt, erinnert sich Gabriela Neumüller.

Es ging sofort los mit Operationen und Chemotherapie. Sieben Wochen musste Yannik erst einmal durchgehend im Krankenhaus bleiben. "Ab der ersten OP ging es Yannik sehr, sehr schlecht", sagt Mutter Gabriela. Ständig musste er sich übergeben, neun Kilo habe er abgenommen. An manchen Tagen konnte Yannik, der lebhafte, passionierte Fußballspieler, noch nicht einmal mehr aufstehen. Von Anfang an ist er über alle Details seiner Krankheit genau im Bilde gewesen. "Yannik ist alt genug, um zu verstehen, dass er Krebs hat und daran sterben könnte", sagt seine Mutter. In den ersten Wochen wäre Yannik in eine Art "Schockstarre" verfallen, erinnert sich Gabriela Neumüller. Diese Zeit war besonders hart, für ihn, aber auch für die Familie "Manche Eltern wissen überhaupt nichts mehr von den ersten Wochen, so tief sitzt der Schock", erzählt Neumüller. Sie erinnert sich an alles, auch an die ganz schlimmen Dinge, noch genau.

Mittlerweile konnte Yannik auch wieder ein paar Tage zu Hause sein. An Weihnachten ließ das sein Gesundheitszustand leider nicht zu. "Es ist ein einsames Weihnachten heuer", hatte er damals zu seiner Mutter gesagt. Während der Therapie, die insgesamt zwei Jahre dauert, wird Yannik ohnehin die meiste Zeit im Krankenhaus verbringen. Für die Eltern Gabriela und Thomas, die getrennt leben und beide berufstätig sind, bedeutet das große Einschränkungen. Um bei Yannik in der Klinik zu sein, hat Gabriela Neumüller ihre Arbeit als Körperpsychotherapeutin weitgehend unterbrochen. Die Miete für ihre Praxisräume in Schwabing bleibt aber trotzdem. "Die Sache mit dem Geld bringt schon auch schlaflose Nächte", sagt sie. Und natürlich ist da auch noch die Sorge um Pascal, Gabriela Neumüllers zweiten Sohn, Yanniks älteren Bruder. Der 16-Jährige muss seit Monaten ziemlich oft auf seine Eltern verzichten, kann seinen Bruder wegen der hohen Infektionsgefahr nur selten sehen und muss zudem immer wieder die Fragen von Freunden und Bekannten nach Yannik beantworten.

Gerade diese große Anteilnahme der Forstinninger rührt Gabriela Neumüller sehr. "Das Dorf ist wirklich super", sagt Neumüller. Yannik sei schon der "Kartenkönig" auf der Station, die ganze Wand neben seinem Bett habe er schon mit Postkarten von Freunden und Bekannten geschmückt. Ganz besondere Freude hatte die Freiwillige Feuerwehr von Forstinning bei Yannik ausgelöst: Bei der vorweihnachtlichen Aktion der "Lebenden Krippe" haben die Feuerwehrler Spenden gesammelt und den Betrag dann großzügig aufgerundet. Das Geld bekam Yannik direkt. "Er hat das Kuvert mit dem Geld aufgemacht und sofort angefangen, Pläne zu schmieden", erinnert sich Gabriela Neumüller. Nach Amerika fliegen, ein Mofa kaufen, den Segelschein machen - die Träume eines ganz normalen Jugendlichen.

Auf der Krebs-Station sind die Wünsche bescheidener. DVDs, ein Laptop, Internet. Zum Glück gebe es die Elterninitiative Krebskranke Kinder München e.V., die wirklich alles versuche, um den Aufenthalt für die Kinder und Jugendlichen erträglicher zu machen, berichtet Gabriela Neumüller. Trotzdem gibt es Momente, in denen die Verzweiflung die Oberhand gewinnt. "Mama, können wir nicht einfach aufhören?", fragt Yannik dann seine Mutter. Und es gibt Momente, in denen Verzweiflung und Lebenswille schmerzhaft nah beieinander sind. Zum Beispiel, wenn Yannik in der Silvesternacht von seinem Zimmerfenster aus zusieht, wie seine Freunde für ihn auf der Straße ein Feuerwerk zünden.

Yannik hat durch die Chemotherapie seine Haare verloren, nur ein leichter Flaum ist noch da. Auch an den guten Tagen, wenn er in dem Gemeinschaftsraum mit den bunten Bildern an der Wand sitzen kann, steht neben ihm der rollbare Ständer mit der Infusion und den Schläuchen. Ob heute ein guter Tag für ihn ist? "Keine Ahnung" sagt Yannik nur und faltet weiter seine Papiere.

Spendenkonto der Elterninitiative Krebskranke Kinder München e.V.: Kontonr. 2440040, BLZ 70020270 HypoVereinsbank München

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Quelle:
SZ vom 19.01.2013
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