Süddeutsche Zeitung

Umfrage:Wie erleben Sie die Protestwoche?

Lesezeit: 3 min

Die Landwirte starten in eine Aktionswoche mit Protesten und Kundgebungen, die Gewerkschaft der Lokomotivführer plant einen mehrtägigen Streik ab Mittwoch. Die SZ hat Passanten in Ebersberg nach ihrem Blick auf die Proteste befragt.

Von Pia Hitzer und Saladin Salem, Ebersberg

Bauern, Spediteure und Bahn rufen in dieser Woche zum Protest auf. Auch aus Ebersberg rollen Traktoren in Richtung München. Die SZ hat in der Kreisstadt nachgefragt, was die Menschen vor Ort dazu denken.

Ihr Herz schlägt für die Landwirte

Elisabeth Hamel, 72, Rentnerin

Der Männerchor Aßling-Bruck, den Elisabeth Hamel leitet, besteht vor allem aus Landwirten. Die niedrigen Milchpreise seien schon lange Thema bei ihnen, sie habe Verständnis für die Proteste der Bauern. "Die versorgen uns mit Nahrung und werden in allem schlechter behandelt, da haben sie durchaus das Recht, sich mal zu wehren." Solange sie anständig sind, sei es in Ordnung, mit Traktoren aufzufahren und "ein bisschen zu blockieren". Im Vergleich mit den europäischen Nachbarn seien die Aktionen noch harmlos. In Frankreich würden auch mal literweise Wein oder Milch auf der Straße verschüttet. Was den GDL-Streik betrifft, fällt Hamels Meinung jedoch etwas anders aus: "Der Weselsky übertreibt es ein bisschen. Er hat ja schon viel erreicht, aber die Bauern müssen kämpfen, die sind immer das Schlusslicht."

Ohne Bahn ist es schwer, zur Schule zu kommen

Theo Herpich, 18, Schüler

Wirklich getroffen hat ihn der Protest der Landwirte bisher nicht. Lediglich seine Fahrstunde sei heute ausgefallen, sagt der 18-Jährige. Im Vergleich zu den Protesten in München sei es im Landkreis aber wohl ruhiger, meint er. Er habe aber durchaus Verständnis für die Aktion der Landwirte. "Das kann ich schon nachvollziehen, weil meine Oma Bäuerin ist." Das Ausmaß der Proteste findet er krass, nachdem zuletzt die Bundesregierung erste steuerliche Zugeständnisse gemacht hatte. Schlimmer treffe ihn aber der bevorstehende Bahnstreik. "Da muss ich schauen, wie ich in die Schule komme." Herpich lebt in Ebersberg, zur Schule fährt er normalerweise mit der Bahn nach Grafing. Mittlerweile nervt ihn der Bahnstreik, zu oft habe er deshalb Schwierigkeiten zur Schule zu kommen. "Wenn man jeden Tag auf die Bahn angewiesen ist, ist das schon viel."

Bitte nicht vereinnahmen lassen

Petra Behounek, 57, Geschäftsinhaberin

Die Protestaktionen in dieser Woche kann sie durchaus verstehen. "Wenn die Subventionen 50 Prozent des Gewinns ausmachen, dann stimmt mit dem System irgendwas nicht", sagt Behounek über die Lage der Landwirte. Lebensmittel hätten einen zu geringen Stellenwert, die Landwirte sollten am besten auch unabhängig von Subventionen leben können. Zudem unterscheide sich die Lage der betroffenen Landwirte zwischen kleinen und größeren Betrieben. Nicht zu vergessen sei, dass Bauern ja auch Landschaftspflege betreiben. "Das muss vergütet werden", findet Behounek. Es sei allerdings nicht in Ordnung, zu rabiaten Mitteln zu greifen, um seine Ziele durchzusetzen. Auch Unterstützung von rechten Akteuren sei nicht okay, findet Behounek. Die Streikenden sollten sich bei ihren Protesten nicht vereinnahmen lassen.

Frage der Verhältnismäßigkeit

Joachim Scholz, 67, Immobilienberater

"Die wirtschaftliche Lage ist angespannt", sagt Scholz über die Situation der Bauern. Er könne die schwierige Ertragslage der Landwirte gut nachvollziehen. Die Forderungen seien in Ordnung. Er könne nicht verstehen, warum Agrardiesel besteuert werden sollte, wenn doch Pläne für eine Kerosinsteuer zuletzt wieder vom Tisch waren. Aktionen, wie die Blockade gegen Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) beim Anlegen einer Fähre seien aber ein "No-Go". Deutschland komplett lahmlegen zu wollen, sei nicht in Ordnung, so der 67-Jährige. Dabei entstehe ein enormer wirtschaftlicher Schaden. Schließlich sei es eine Frage der Verhältnismäßigkeit, denn blockiere man etwa Autobahnauffahrten wäre dies wohl Nötigung, meint Scholz. Schon bei den Klimaaktivisten der "Letzten Generation" sei dies in Gerichtsurteilen mit Geldstrafen gemündet.

Die Gesellschaft kann profitieren

Sissi Heimgartner, 49, Krankenschwester

Schlussendlich sei wichtig, dass es gewaltfrei bleibt. "Wir sind eine Demokratie und man setzt sich damit auseinander", sagt Heimgartner. Die Bauernproteste empfindet sie als gerechtfertigt, da die Landwirte aus der Mitte der Gesellschaft kommen und vor allem Menschen aus systemrelevanten Berufen, die Möglichkeit haben sollten, friedlich ihre Meinung kundzutun. Dadurch würden zwar auch andere beeinträchtigt, aber solch ein Protest sei nun mal immer zwiespältig. Dass die Aktionen an manchen Stellen ausufern könnten, hält sie für möglich. Wichtig sei es, beim Thema zu bleiben, denn die Gesellschaft könne allgemein von den Streiks profitieren, so Heimgartner. Es sei eben die Masse, der sie eine große Wirkung zuschreibt: "Bauern sind eine Bevölkerungsgruppe, die die Macht hat zu sagen: Nein, so nicht weiter!"

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6329923
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.