Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Kuriose Geschenke:Alle Jahre wieder ... kommt neu das Christuskind

Lesezeit: 2 min

Vor 35 Jahren schuf der kleine Neffe der Poinger Künstlerin Inge Schmidt einen höchst eigenwilligen Jesus-Ersatz für eine neapolitanische Krippe. Das wurde zur Tradition.

Von Michaela Pelz, Poing

Der eine verschenkt traditionell selbst gestrickte Schafwollpullover - und sorgt damit bei den Empfängern für gemischte Gefühle, die andere wurde als Veganerin schon mal mit einem Metzgerei-Abo bedacht ... Die SZ Ebersberg hat für ihre Serie "Kuriose Geschenke" Menschen aus dem Landkreis nach ihren Erfahrungen mit unerwarteten Gaben gefragt.

Gut 35 Jahre ist es her, dass Inge Schmidt eine neue Krippe unter ihren Christbaum stellte: ein dreidimensionales Set mit kunstvoll gestalteten, handbemalten Pappmaschee-Figuren, etwa 15 Zentimeter hoch. Ein italienischer Freund hatte der Künstlerin aus Poing die filigrane neapolitanische Papierarbeit geschenkt.

Auch die anwesende Familie erfreute sich an dem Ensemble - bis der sechsjährige Neffe feststellte, dass zwar Maria, Josef und die Könige anwesend waren, doch die Hauptperson fehlte: das Jesuskind. "Das machte alle traurig - aber Alex hatte gleich einen Plan", erinnert sich die Malerin und Bildhauerin, deren tiefe Zuneigung und enormer Tantenstolz, gemischt mit leichtem Amüsement, noch heute deutlich zu spüren ist.

"Eine Nussschale war die Krippe, zwei Styroporkügelchen hielten her für Kopf und Körper, das Gesicht war gemalt mit Filzstift: Augen, Nase und ein großer, lachender Mund. Als Frisur gab's ein paar weiße Wollfäden und schon war das schönste aller Christkinder geboren."

An dieser Stelle hätte die Geschichte zu Ende sein können, wenn, ja wenn dieses eine Ur-Werk nicht zum Auftakt einer Tradition geworden wäre, die seit jenem legendären Tag in Schmidts Familie gepflegt wird: Jedes Jahr gibt es eine neue, weihnachtliche Bastelarbeit vom inzwischen längst erwachsenen Neffen - im Brotberuf Kripobeamter, Abteilung Cyberkriminalität.

Der Ablauf ist dabei seit 35 Jahren gleich, denn egal, wo die Familie auch feiert, die Papierkrippe ist immer dabei. Und so folgt auf festliches Essen, gemeinsames Singen, Gedichtvortrag und das Auspacken der Geschenke stets der von allen mit Spannung erwartete Höhepunkt: ein neues Jesuskind. "In den ersten Jahren lagen die Christkinder noch konventionell in der Krippe oder einem Körbchen. Dann wurden sie aber immer verwegener und passten weder proportional noch gestalterisch mehr in die klassische Krippe. In der Kunst nennt man das den Weg in die Abstraktion", erklärt Schmidt.

Im Lauf der Zeit kamen auf diese Weise zahlreiche Figuren zusammen, mit eigenwilligen Gesichtszügen, gewagten Frisuren, modisch überraschend. Die 20 Zentimeter große Variante von 2007 war gar als Installation auf einer Eisenglocke befestigt.

Inge Schmidt hat sämtliche Exemplare aufbewahrt - sie lagern im Keller. Und so unterschiedlich alle sind, eint sie doch die Tatsache, Teil der Familiengeschichte geworden zu sein. Und weil niemand dieses Ritual missen will, übergibt der mittlerweile 42-jährige Alex den Staffelstab nun an seine Tochter. Und alle sind schon gespannt, womit die Fünfjährige ihre Familie demnächst überraschen wird.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6315672
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.