Süddeutsche Zeitung

Experiment in Poing:Das Gemälde zur Couch

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Architektur trifft Kunst: Im Bauzentrum Poing findet erstmals eine Ausstellung statt. 16 Kreative aus der Umgebung zeigen in diversen Musterhäusern ihre Werke. Ein Rundgang.

Von Anja Blum, Poing

Zugegeben: Um Kunst mit Botschaft oder gar als Provokation geht es hier eher nicht. Vielmehr um Dekoratives, um Werke, die das Wohnen und Leben schöner machen sollen. Darum, wie sich dieses oder jenes Bild über einem schicken Sofa machen würde, ob eine Skulptur das Treppenhaus schmücken oder eine Fotoarbeit möglicherweise ein Badezimmer aufwerten könnte. Denn das Bauzentrum und die Gemeinde Poing haben nun ein Experiment gewagt: eine Kunstausstellung in mehreren Musterhäusern, die am Freitag eröffnet wurde.

Zu sehen sind die Werke inmitten der Wohnwelten nun noch vier Wochen lang, "und alle Poinger haben freien Eintritt", ermuntert Bürgermeister Thomas Stark die Anwesenden bei der Vernissage, bald mit vielen Interessierten wiederzukommen. Auf die Idee der neuen Kooperation sei er wegen Corona gekommen: "Die Pandemie hat die Kunstszene lahmgelegt, deswegen sind ganz viele kreativ geworden, haben zum Beispiel in Schaufenstern ausgestellt", so Stark. "Aber wie viel schöner ist es, Bilder einmal in Wohnambiente zu zeigen, anstatt auf Stellwänden?" Zumal das Bauzentrum bei etwa 80 000 Besuchern pro Jahr der Kunst einen ganz anderen Publikumsverkehr biete als jede Rathausaula, so Stark. Insofern kann es durchaus sein, dass diese Ausstellung sich in den kommenden Wochen für die Kreativen zu einem echten Coup entwickelt. Der Bürgermeister jedenfalls hofft auf Erfolg - und Wiederholung.

Gar an die Schule des Bauhaus' erinnert Andreas Speer, Geschäftsführer der Betreiberfirma des Bauzentrums, in deren Geiste man Kunst und Architektur zusammenbringen wolle. "Kreativität, Design, Raumwirkung - die Verwandtschaft liegt auf der Hand." Außerdem sei dies eine Aktion, von der alle Beteiligten profitierten: Die Kreativen hätten eine Möglichkeit, ihre Werke einem breiten Publikum vorzustellen, die Hausherren erweiterten die Innengestaltung um eine zusätzliche Dimension und die Besucher erlebten eben Architektur und Kunst im Zusammenspiel.

Und tatsächlich zeigen sich alle begeistert von dem außergewöhnlichen Konzept, die Vertreter der Hausanbieter genauso wie die Künstlerinnen und Künstler. 16 sind es an der Zahl, sie alle stammen aus Poing und Umgebung. "Am Anfang haben wir gemeinsam einen Rundgang durch die Gebäude gemacht und uns anschließend geeinigt, wer welches nimmt - in gerade mal zehn Minuten", erzählt Inge Schmidt und strahlt übers ganze Gesicht. "Das lief total reibungslos."

Dabei muss man allerdings sagen, dass sich die Häuser unterschiedlich gut für Kunst eignen. Manche haben fast nur Glasfronten oder bereits belegte Wände, in anderen ist es nicht erlaubt, Nägel anzubringen. Doch die Aussteller beweisen auch hier Kreativität, indem sie mit alternativen Techniken oder Staffeleien arbeiten. "Aufhängen kann ja jeder", sagt Natalia Sirin und lacht. Außerdem gilt natürlich auch im Bauzentrum: Die Geschmäcker sind verschieden, sowohl was die Architektur, als auch die Kunst angeht. Positiv formuliert: Hier findet vermutlich fast jeder etwas, das ihm gefällt. Und immerhin handelt es sich bei den Werken um Unikate, nicht irgendwelche Drucke von der Stange.

In jenem Haus, das der Vernissage ein Dach bot, zeigt Natalja Herdt ihre Werke. "Ich habe versucht, mich in die Bewohner hineinzuversetzen", sagt sie, "habe überlegt, welche Aspekte sich hier positiv entfalten könnten". Nicht möglichst viele Werke unterzubringen sei für sie im Fokus gestanden, sondern die Frage, welches Werk etwas zum Wohlfühlen beitragen könnte. Tatsächlich hat Herdt ihre vielseitige Kunst sinnstiftend in den Räumen verteilt. Über einem gläsernen Erker schweben haufenweise bunte "Hoffnungsfalter", im Schlafzimmer prangt ein blühendes Herz, im Büro erinnert "der innere Faden" daran, eigene Wege zu verfolgen.

Auf positive Wirkung hoffen vermutlich auch Ulla Schulz, Beate Braß, Natalia Sirin, Stefani Kling und Tamara Suchan, die auf vor allem auf klassische florale Motive, schöne Frauen und Märchenhaft-Romantisches setzen, Goldfolie und Glitzersteine inklusive. Mit Glashalbkugeln arbeitet auch Jürgen Haupt, er setzt sie auf seine ornamentale Malerei, um das Licht zu brechen und mit Schatten zu spielen. Für eine andere Serie verwendet er Holzstäbchen, die er bunt bemalt und vor farbigen Rechtecken anbringt, so dass ein geometrisch-flirrender Eindruck entsteht. "Den Zufall gestalten, das Chaos ordnen, das ist mein Motto", erklärt Haupt, der sich in "seinem" modernen Haus mit klaren Linien sehr wohlzufühlen scheint.

Ganz glücklich über ihr Modell "Alpenchic" ist auch Melanie Kirchlechner, denn sie arbeitet am liebsten mit Holz. Die Ausstellung im Wohnambiente sei genial, sagt sie, und das Haus ein absoluter Glücksgriff. Sie zeigt Holzschnitte, zum Beispiel auf einer zweckentfremdeten Biedermeiertür, Druckstöcke, eine Serie namens "Blattwerke" und "flatterhafte" Objekte mit Libelle, Distelfalter und Co. Klassische gegenständliche Motive finden sich dagegen bei Petra Schmitt: expressive Landschaften, ein gelbes Haus, ein Seepferdchen sowie eine "kleine Küchengeschichte" in schwarz-weiß. Oder bei Ilse Niedermeier. Über der braunen Ledercouch hat sie "Afrika I" aufgehängt, im Treppenhaus leuchten Zitronen und ein "Goldener Hirsch".

Um einiges rätselhafter beziehungsweise abstrakter wird es bei Inge Schmidt, Daniela Rudolph und Kornelia Boy, ihre Gemälde darf der Betrachter sich selbst erschließen. Stellen diese vertikalen Farbflächen etwa Frauenkörper dar? Welches Licht erhellt hier wohl die Dunkelheit? Und ist das ein ferner Horizont? Fest steht jedoch, dass es auch diesen Malerinnen darum geht, eine positive Ausstrahlung zu vermitteln. "Bilder, Farben an den Wänden - das macht was mit einem", da ist sich Schmidt sicher. "Und in diesem Haus habe ich mich gleich daheim gefühlt, ganz anders als in einem Showroom."

Ein einziger Fotograf ist übrigens auch beteiligt an der Schau im Poinger Bauzentrum: Martin Köbele liebt die Berge - egal, ob in Farbe oder Schwarz-Weiß - und den Himmel, das ist unschwer zu erkennen. Insofern ist eine beeindruckende Aufnahme der Milchstraße über den Drei Zinnen vermutlich so etwas wie ein Destillat seiner Arbeit. Ebenfalls etwas aus dem Rahmen fällt Peter Böhm mit seiner "Vulc-Art", die er selbst augenzwinkernd als "völlig sinnfrei" bezeichnet. Vielleicht, weil sie aus dem Abfall geboren ist, und auf einem außergewöhnlichen, aber simplen Druckverfahren gründet. Die Ergebnisse aber können sich sehen lassen: so wandelbare wie humorvolle Figuren, die im Kopf sofort die Assoziationsmaschine anlaufen lassen, dem Rorschach-Test ähnlich. "Ja, jeder kann und soll hier sehen, was er will", sagt Böhm, spitzbübisch lächelnd.

Und dann gibt es noch Norbert Haberkorn, der ebenfalls gerne mit der Kamera arbeitet, neben diesen Aufnahmen allerdings auch Skulpturen zeigt. "S 2 - Life in Transit" heißt ein fotosoziologisches Projekt, das Haberkorn im Musterhaus an ein paar Beispielen vorstellt: Aus der Bahn heraus hält er oftmals verspiegelte oder verwischte "fragmentarische Realitäten" fest - also Alltag, aber neu gesehen. Seinen Objekten wiederum hat Haberkorn den Titel "Dominum Terrae - Herrschaft über die Erde" verliehen. Es handelt sich dabei um kurze, dicke Äste, in deren Holz der Künstler rundherum Eisenstangen getrieben hat. Diese höchst ästhetischen und trotzdem martialischen Gebilde sollen deutlich machen, wie der Mensch mit der Natur umgeht, "wie wir sie martern, wie wir sie vergewaltigen". Eine künstlerische Reflexion des göttlichen Auftrags. Kunst mit Botschaft im Musterhaus? Geht also doch.

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