Süddeutsche Zeitung

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 130:Wenn Sprache alles verändert

Lesezeit: 2 min

Pola Gülberg hat eine Patientin, die beatmet wird und deshalb nicht mit ihrer Stimme sprechen kann. Doch mehr und mehr bekommt die Pflegerin das Gefühl, dass sie unbedingt miteinander sprechen sollten - und hat eine Idee.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Vor eine Weile habe ich eine Patientin versorgt, die mittels einer Beatmungsmaschine atmete. Leider ging es ihr zunehmend schlechter, irgendwann war sie so geschwächt, dass sie extubiert und damit weg von der Beatmungsmaschine kam. Stattdessen wurde ihr eine Trachealkanüle eingesetzt. Eine Trachealkanüle ist ein Zugang für den Luftweg gleich unterhalb des Kehlkopfes - man atmet also nicht mehr über Nase und Mund, sondern die Luft strömt direkt in den Hals. Das verkürzt den Atemweg zur Lunge und ist damit weniger anstrengend. Mit der Trachealkanüle ging es der Frau zwar nicht weiter schlechter, doch auch nicht besser. Mehr und mehr machte sich bei mir das Gefühl breit: Sie gibt sich auf.

Wenn ich zu ihr ins Zimmer kam, hielt sie die Augen immer öfter geschlossen. Wenn ich an ihrem Bett stand, um Zugänge und Schläuche zu kontrollieren, wandte sie ihren Kopf ab - sie wirkte abwesend, als ob sie alles nur noch über sich ergehen ließ. Gerade in solch einer Situation wäre es so wichtig gewesen, mit der Patientin zu sprechen: Welche weitere Behandlung wünscht sie? Und welche möchte sie auf gar keinen Fall? Wegen der Trachealkanüle konnte sie allerdings nicht sprechen.

Doch das musste ja nicht so bleiben, und so gaben wir meiner Patientin wieder eine Stimme. Sie bekam eine spezielle Trachealkanüle mit einem zusätzlichen Schlauch. Dadurch war ihr das Sprechen wieder möglich, trotz Beatmung - Above Cuff Vocalisation nennt sich das. Es ist ein ungewohntes Sprechen, anstrengend, die Stimme klingt gepresst. So war es auch bei meiner Patientin. Aber mit ein bisschen Übung klappte es dennoch recht gut.

Klar gibt es auch andere Wege, um zu kommunizieren. Schreiben zum Beispiel. Doch meine Patientin hatte als Nebenwirkung der ganzen Medikamente, die sie bekam, solch geschwollene und steife Finger, dass ihr das Schreiben unvorstellbar schwerfiel. Und selbst wenn sie flüssig hätte schreiben können: Das wäre kein adäquater Ersatz für gesprochene Sprache gewesen. Denn es ging nicht nur darum, Dinge anzusprechen, sondern in ihrem Fall war es wichtig, miteinander zu sprechen. Vor allem, wenn es Menschen nicht gut geht, habe ich es schon oft erlebt, dass es mit ihnen etwas macht, wenn sie Dinge laut aussprechen und sie mit Anderen darüber reden - die Gedanken werden dann klarer, und das motiviert.

So war es schließlich auch bei meiner Patientin: Auf einmal lächelte sie wieder, sie las Zeitung und Bücher - alles Dinge, die sie auch davor hätte machen können. Und ihr gesundheitlicher Zustand verbesserte sich ebenfalls endlich, und das sogar erstaunlich schnell. Natürlich kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob das ausschließlich daran lag, dass sie nun wieder sprechen konnte. Aber vielleicht war das genau der Anstoß, den es gebraucht hat. Für mich war es jedenfalls unglaublich schön, sie nach so langer Zeit bei uns nun auf einmal so motiviert zu erleben.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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