Süddeutsche Zeitung

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 112:"Mei, Rosi, bist du des?"

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Wer sich in einem Patientenzimmer auf der Intensivstation von Pola Gülberg hinter dem Vorhang verbirgt, der zwischen den beiden Krankenbetten zugezogen ist, unterliegt bestimmten Kriterien. Und manchmal trifft man sogar auf alte Bekannte.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Vor einer Weile habe ich eine Patientin aus dem OP zu uns auf den Überwachungsbereich der Intensivstation gebracht. Als ich ihr Krankenbett ins Zimmer gefahren habe, hat ihre künftige Zimmernachbarin wohl einen Blick auf meine neue Patientin erhascht. Durch den Vorhang, der zwischen den beiden Betten zugezogen war, rief sie: "Mei, Rosi, bist du des?" Ja, meine neue Patientin war tatsächlich die Rosi - auch wenn sie in Wirklichkeit anders hieß. Die beiden Frauen kannten sich aus Jugendzeiten.

Es war Zufall, dass meine beiden Patientinnen im selben Zimmer lagen, obwohl sie sogar eine ähnliche OP hinter sich hatten. Denn wer bei uns mit wem in einem Zimmer untergebracht ist, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Gleiches Geschlecht oder gleiche Erkrankung zählen jedoch nicht dazu.

Dass es auf der Intensivstation keine Geschlechtertrennung gibt, ist üblich. Im Gegensatz zu einer Normalstation. In manchen Kliniken wird dort schon darauf geachtet. Das funktioniert freilich nur, solange genügend freie Betten zur Verfügung stehen. Ein paar Mal habe ich es schon erlebt, dass einer meiner Patientinnen verwundert war, wenn auf einmal ein Mann in ihr Zimmer geschoben wurde. Aber ein Problem ist das noch nie für irgendjemanden gewesen. Das leuchtet ein. Denn wer auf der Intensivstation liegt, hat in der Regel andere Sorgen als die Frage nach dem Geschlecht des Zimmernachbarns.

Im Grunde kann man sagen, dass die Entscheidung der Zimmernachbarschaft eine sehr individuelle ist. Einen frischen Herzinfarkt-Patienten, für den Erholung und Ruhe extrem wichtig ist, legen wir eher nicht mit einem dementen zusammen, weil letztere oft sehr unruhig sind oder manchmal auch schreien. Ebenso wenig bekommt ein Krebspatient, der sich mitten in seiner Chemotherapie befindet, einen Patienten mit einer Wundinfektion zum Zimmernachbarn. Infektiöse Krankheiten neben einem geschwächten Immunsystem, das eine Begleiterscheinung während einer Chemo ist, vertragen sich nicht gut. Und isolationspflichtige Patienten werden ohnehin alleine in einem Zimmer untergebracht.

Zwischen den zwei Patienten sorgt ein Vorhang für Privatsphäre. Der Vorhang ist immer zugezogen, es sei denn, beide Parteien bitten explizit darum, ihn zu öffnen.

Bei meinen beiden Patientinnen, die sich von früher kannten, war genau das der Fall. Sogar als ich ihn einmal wieder schließen wollte, um Privatsphäre beim Toilettengang zu ermöglichen, winkten sie beide ab. "Na, na, des passt scho", sagte eine von ihnen. Ich war irritiert und fragte zur Sicherheit noch einmal nach. Denn nur weil man sich kennt, will man ja nicht zwangsläufig voreinander auf die Toilette gehen. Da meinte die andere Frau nur: "Ach, wissen Sie, wir haben uns früher schon gegenseitig die Dirndl g'halten - des passt also wirklich scho so." Und so blieb der Vorhang also geöffnet. Nur den Besuch, den wollten sie dann doch nicht dabei haben, also habe ich ihn aus dem Zimmer geschickt.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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