Süddeutsche Zeitung

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 122:Wieviel Behandlung ist vertretbar?

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Pola Gülberg versorgt einen Patienten, der sie zum Grübeln bringt: Der Mann hat mehrere OPs hinter sich, bekommt viele Blutkonserven und Medikamente, aber sein Zustand bessert sich nicht - was ist das Ziel einer solchen Behandlung? In diesen Momenten kann das Ethikkomitee eine Hilfe sein.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Und noch eine Konserve Blut. Ich weiß nicht mehr, die wievielte es war, die ein Arzt in diesem Moment an meinen Patienten dran hängte. Ich versorgte ihn bereits in der dritten Nacht in Folge. Und jedes Mal bekam er Blut. Zuvor hatte er mehrere Eingriffe gehabt, um die Blutung in den Griff zu bekommen; den Rest musste sein Körper nun alleine schaffen, sagten die Ärzte. Doch regelmäßig färbte sich die Flüssigkeit im Beutel seiner Magensonde wieder rötlich - ein Zeichen dafür, dass er im Bereich des Magens weiter blutete, obwohl er zu keinem Zeitpunkt instabil wurde. Auf Dauer ist ein solch schleichender Blutverlust natürlich auch gefährlich. Deshalb die Blutkonserven.

In dieser Nacht habe ich überlegt, ob ich das Ethikkomitee der Kreisklinik hinzubitten sollte. Seit Monaten schon war mein Patient im Krankenhaus, bereits zum dritten Mal auf Intensivstation, mehrere OPs lagen hinter ihm, ebenso wie mehrere Komplikationen. Für mich stellte sich die Frage: Welches Leben erwartet ihn, sollte er irgendwann extubiert werden können und wieder wach werden? Kann er überhaupt ohne Intensivstation noch überleben? Oder können wir noch etwas anderes unternehmen, damit seine Therapie demnächst endlich so erfolgreich ist, dass sein Blut gerinnen kann und somit seine inneren Wunden verheilen können?

Jeder in der Klinik kann sich an das Ethikkomitee wenden, auch Patienten und Angehörige. Dann kommen zunächst mindestens die Vorsitzenden des Gremiums vorbei, sehen sich den Fall an und diskutieren ihn ausführlich. Dabei geht es immer um die Frage: Trägt die aktuelle Behandlung zum Wohlbefinden des Patienten bei?

Es gibt einen weiteren Aspekt, der interessant ist, nämlich die Ressourcenfrage: Ist es gerecht, dass ein einzelner Patient so viele Ressourcen bindet - personell und auch materiell, denn in unserem Fall brauchte der Patient schließlich eine Menge Blutkonserven und Medikamente, ohne dass sich sein Zustand besserte.

In Deutschland spielt dieser Aspekt oft keine Rolle. Zwar ist das Blut hier immer mal wieder etwas knapp, aber es reicht. Und die übrigen Kapazitäten sind auch groß genug. Niemand wird hierzulande schlechter behandelt, weil ein anderer Patient alle Ressourcen für sich beansprucht hat.

Als Pflegekraft bekomme ich nicht alle fachmedizinischen Aspekte mit, das ist Aufgabe der behandelnden Ärzte. Also habe ich zunächst unseren Anästhesisten angesprochen: Wie lange sollen wir noch Blut geben? Was ist unser Ziel? Welche anderen Therapien gibt es? Gleich zum Ethikkomitee zu gehen, halte ich für falsch. Wir sind ein Behandlungsteam, da spricht man miteinander. Da ich im Nachtdienst bei keiner Visite dabei sein kann - die gibt es nur tagsüber -, vermutete ich, dass mir Wissen fehlte, um die Zusammenhänge voll und ganz zu verstehen.

Letztlich hat es das Ethikkomitee nicht gebraucht. Der Anästhesist besprach sich mit seinem Kollegen der Chirurgie, woraufhin der Patient zusätzliche Medikamente bekam - und endlich verbesserte sich der Zustand des Mannes, er hörte auf zu bluten. Umso besser.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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