Süddeutsche Zeitung

Neuer Krimi:Überleben ungewiss

Lesezeit: 3 min

Wenn sich die Grafinger Autorin Petra Johann auf Recherche begibt, dann ist das zuweilen mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden - für sie selbst und für ihre Gesprächspartner

Von Michaela Pelz

Als sie an diesem Nachmittag die Türglocke hört, weiß Buchhändlerin Hedwig Wobken genau, dass die Besucherin nicht mit der Absicht kommt, Lesestoff zu erstehen. Vielmehr hat die Frau, die nun den Kirchseeoner Buchladen betritt, etwas im Sinn, vor dem sogar Ladenhüter Thielo, der weiße Schäferhund, sein Frauchen nicht beschützen kann: Mord. Allerdings ohne Blut und ohne Strafe - denn Petra Johann ist erfolgreiche Krimiautorin. Doch die Grafingerin ist an diesem Tag nicht etwa für eine Lesung da, wie man sie in solchen Räumlichkeiten erwarten könnten - sie hat ein Recherche-Date ausgemacht. In ihrem nächsten Werk soll ein Buchhändler eine Rolle spielen - welche, verrät sie nicht, und auch nicht, ob die Figur ihren Einsatz überlebt. Jetzt will Johann erst einmal so viel wie möglich über das Umfeld herausfinden.

Authentizität ist der Schriftstellerin ausgesprochen wichtig. Sie will sich nicht nur in der Gegend, in der ihre Romane jeweils angesiedelt sind, auskennen - was der Grund ist, dass alle bisher erschienenen fünf Krimis an Orten spielen, an denen sie entweder gelebt oder Urlaub gemacht hat - sondern vor allem ein Gefühl für die handelnden Personen und die Vorgänge, die sie beschreibt, bekommen. Das könnte durchaus an ihrem Hang zur Perfektion liegen, wie die promovierte Mathematikerin lachend zugibt. "In der Mathematik muss alles zu hundert Prozent richtig sein. Das ist bei mir fest verankert."

Darum hat sie Kontakt zu Wobken aufgenommen und um ein Treffen gebeten. "In meinen Büchern habe ich immer zwei Hauptfiguren: Jemanden von der Polizei und eine Person, die persönlich betroffen ist. Entweder als Angehörige, Verdächtige oder Opfer." In Sachen Polizeiarbeit konsultiert Johann einen mittlerweile pensionierten Beamten aus Aachen, der nun FH-Dozent ist, oder, wenn es um für Bayern spezifische Themen geht, einen seiner Kollegen aus Ingolstadt. Für andere Themen und Berufsgruppen sucht sich Johann entsprechende Experten, entweder via Internet, aber "am liebsten über persönliche Empfehlung oder aus dem Bekanntenkreis".

Ihre Ansprechpartner befragt sie dann zu typischen Abläufen und individuellen Erfahrungen. Allerdings weiß die Autorin zu diesem Zeitpunkt oft noch gar nicht, wie viele der gesammelten Informationen sie tatsächlich verwenden kann. "Es ist gar nicht so leicht, Leute anzusprechen und dann kommt das, was sie mir erzählt haben, gar nicht vor." So war es ihr ziemlich peinlich, nach einem langen Gespräch mit einer forensischen Anthropologin der Universität Hamburg über das Ein- und Ausgraben von Körpern "die Leiche am Ende gar nicht verbuddelt" zu haben, weil die Geschichte unterwegs eine andere Wendung genommen hatte.

Denn zwar plottet Johann ihre Werke am Reißbrett, hat eine Vorstellung von den Eckpunkten und davon, wann die Indizien auftauchen und was in den einzelnen Szenen passiert ("das hängt mit Plänen bunt an der Wand"), sobald sie aber feststellt, dass etwas nicht funktioniert wie gedacht, "muss man auch Stränge rauswerfen können". Nur wenn Figuren und Entwicklungen genügend Raum hätten, bekomme das Buch eine Seele - dass die Abläufe recht genau feststehen, sei dabei "kein Korsett, das einschnürt, sondern eher ein Skelett, das Sicherheit gibt. Wenn mir noch etwas Besseres einfällt, kann ich immer das nehmen".

Inspirieren lässt sich die Endvierzigerin dabei auch gern von Bewegtbildern im Internet. Sie erinnert sich: "In einem Buch sollte ein Mähdrescher vorkommen. Da habe ich zuerst einen Cousin meines Vaters befragt, der für den Maschinenring arbeitet. Und mir dann Filme auf Youtube angesehen." Fast gerät sie ins Schwärmen, als sie von den "tollen Videos" erzählt. Den konkreten Schauplatz für ihre Romane wählt Johann oft als letztes, denn in der Regel sind die Themen ortsunabhängig - Ausnahme ist das nächste Buch, das 2021 erscheint. "Da wollte ich jemanden von der Steilklippe stürzen und das ist schwierig in Bayern." Also fiel die Wahl auf das Ostseebad Rerik. Sich dort genau umzusehen - "Wobei: mit Details bin ich großzügig, halte mich nicht sklavisch an die Position von Bänken und Bäumen" - fiel ihr definitiv leichter als jenes Experiment im Dienste der Wahrheit, von dem die Nichtraucherin lachend erzählt: "Auf dem Balkon, neben mir einen Eimer Wasser, probierte ich aus, ob man mit einer Zigarette Schaumstoff anzünden kann. Ging erstaunlich gut!"

Herzstück von Johanns Roman-Arbeit ist aber, sich in die Protagonisten hineinzuversetzen, ihren Gefühlen nachzuspüren. So hat sie sich für ihren derzeit aktuellsten Titel "Die Entführung" viele Gedanken über die Situation von gefangenen Mädchen gemacht und entsprechende Bücher gelesen. Besonders bewegt habe sie dabei "Im Keller" von Jan Philipp Reemtsma. In welche Ausnahmesituation Johann die Charaktere des Werkes bringen wird, an dem sie nun schreibt, lässt sie aber noch komplett im Dunkeln.

Hedwig Wobken auf jeden Fall ist jetzt schon gespannt, was die Figur erleben wird, für die sie bereitwillig ihr Insiderwissen zur Verfügung stellt. "Selbst wenn sie am Ende gar nicht mehr im Buch sein sollte, war es doch eine spannende Erfahrung, live beim Rechercheprozess dabei zu sein." Um die Wartezeit zu überbrücken, kann man ja erst mal eines von Petra Johanns anderen Büchern lesen. Die gibt es natürlich auch im Kirchseeoner Buchladen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4798563
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.02.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.