Süddeutsche Zeitung

Mitten in Poing:Eine Frage der Perspektive

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Der Gemeinderat bessert beim Lärmschutz eines Wohngebiets nach. Einem SPDler aber ist das zu wenig

Kolumne von Johanna Feckl

Ist das Wasserglas halb voll oder halb leer? In der Sitzung des Poinger Gemeinderats am Donnerstagabend war diese philosophische Perspektiv-Frage Thema, wenn auch in abgewandelter Form. Es ging um den Bebauungsplan "Hauptstraße Ost, Teilbereich Ost". In dem neuen Wohngebiet sollen Geschosswohnungen und Reihenhäuser entstehen. Damit die Bewohner vor Lärm geschützt sind empfiehlt das Landratsamt hier kleine Nachbesserungen, etwa dass leise Luft-Wärmepumpen eingebaut werden. Alles kein Problem, beschloss der Gemeinderat, das Glas ist also halb voll.

Oder? Eher komplett leer schien das Glas nur für SPD-Gemeinderat und Landratskandidat Omid Atai zu sein. Ihm waren die Nachbesserungen zu lasch. "Die Leute werden sich bei uns beschweren, davon bin ich überzeugt", erklärte er. Vor allem die Wertstoffinsel samt Altglascontainer war ihm ein Dorn im Auge. Viel zu nah sei sie an den geplanten Häusern gelegen. Also: Lärm-Alarm. Atai schlug vor, die Insel zu verlegen. "Aber das tun wir doch nur, wenn wir einen Grund haben", sagte Bürgermeister Albert Hingerl (SPD), "laut Gutachten haben wir aber keinen."

Gutachten hin oder her, es bleibt eine Frage der Perspektive. Wie beim Wasserglas. Oder beim Anlegen des Sicherheitsgurts im Auto. Das ist freilich korrekt, sollte man in einen Unfall geraten. Andererseits: Würde niemand einen Gurt anlegen, bräuchte man ihn gar nicht erst einbauen. Das spart Produktionskosten und Material - könnte also als nachhaltig bezeichnet werden. Nur bräuchte es ohne Sicherheitsgurte mehr Verbandszeug und Notärzte. Schaffung neuer Arbeitsplätze? Wäre ein positiver Aspekt, aber nicht wenn man vorrangig die Gesundheit der Menschen betrachtet. So gesehen macht das mit dem Gurt wiederum Sinn. Aber: Alles eine Frage der Perspektive.

Und so wie der Gurtgegner hat ja auch Omid Atai nicht komplett Unrecht. Wer zu nahe an einer Wertstoffinsel mit einem Container für Altglas wohnt, der hat schon Pech. So viel ist sicher - da kann ein Gutachten sonst was behaupten. Es ist echt - klirr! - nervig, wenn man auf dem heimischen - klirr! - Balkon mit einem Glas Wasser in der Hand - klirr! klirr! - seufzend den Sonnenuntergang anschmachten - klirr! - möchte. Es schwillt einem der Kamm. Da kann das Wasserglas auch dreiviertel voll sein.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2020
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