Süddeutsche Zeitung

Kirchseeoner Perchten:Mordsradau im Dauerregen

Wenn einem plötzlich der Sensenmann die Mütze ins Gesicht zieht, kann man schon mal erschaudern. Die Kirchseeoner Perchten haben ihr 60-jähriges Bestehen mit einer mystischen Rauhnacht gefeiert. Trotzdem brauchte der Veranstalter bald eine "Frusthalbe".

Von Carolin Fries

Eigentlich müssten in Kirchseeon bereits an diesem Montag die Schneeglöckchen sprießen, die Krokusse ihre bunten Knospenköpfe aus der Erde stecken und die Bäume zartgrün austreiben. Denn das "Aufwecken der Natur", das die Kirchseeon Perchten seit 60 Jahren in ihrer Gemeinde veranstalten, fiel am vergangenen Samstag derart heftig aus, dass die Schneeflocken am Sonntagmorgen nur ein großes Missverständnis sein konnten.

Anlässlich des Jubiläums waren fünf Gastgruppen aus dem Bayrischen Wald, Salzburg, Hallein, Dietramszell und Berganger angereist, die im Ortszentrum vor mehreren hundert Zuschauern in strömendem Regen ihre Tänze und Gesänge vorführten - kurzum einen Mordsradau machten.

Mit bis zu 25 Kilogramm schweren Glocken um den Bauch gebunden zogen zuerst die "Wolferer" aus Rinchnach im Bayerischen Wald durch die abgesperrte Straße zur Feuerschale am Perchtenbrunnen. Das dumpfe Scheppern der übergroßen Glocken, die ihren Trägern bis über die Knie reichten, kam so gewaltig daher, dass die tiefen Basstöne die umstehenden Zuschauer schier vibrieren ließen.

"Genial", wie Gisela Götz fand. Die 62 Jahre alte Kirchseeonerin schätzt den Brauch der Perchtenläufe in den Rauhnächten zwischen erstem Advent und Heilig Drei König, seit sie vor 44 Jahren nach Kirchseeon geheiratet hat.

Jedes Jahr ziehen die Perchten hier in elf Läufen von Haus zu Haus, zeigen ihre herrlich-gruseligen Fratzen-Masken und ihre Stampf- und Springtänze in wollenen Kostümen. "So hoch, wie der Percht springt, wächst im Sommer das Getreide", besagt der Volksmund. Nur alle zehn Jahre gibt es zusätzliche Jubiläumsläufe, zu denen befreundete Gruppen geladen werden.

Für Gisela Götz trotz Dauerregen ein Muss: "Es fasziniert mich einfach." Und genauso erging es wohl den meisten Kirchseeonern, Ebersbergern oder Tölzern, die einen Platz entlang der Absperrungen ergattert hatten.

Spätestens mit dem Auftritt der Kirchseeoner Hexen von Soj beschlich einen das Gefühl, Zeuge eines Schauspiels zu werden, von dem man zwar weiß, dass alles nur gespielt ist - das im Licht der Fackeln aber wirkt, als seien die hässlichen Gestalten echt. Sollten die "Wilden Kerle", die man eben noch auf den Bäumen in Sendaks Kinderbuch wähnte, einfach von diesen hinuntergeklettert sein?

Plötzlich ist er da, der "Habergoaß" (leider nicht im Bild), von hinten mischt er sich unter die Menschen an der Absperrung, schüttelt die Glocken auf seinem Rücken, brüllt. "Wenn ihr mir einen Euro ins Maul werft, habt ihr nichts zu befürchten", sagt er dann ganz freundlich. Keiner, der nicht nach seiner Geldbörse greift, die Münzen klackern durch die hölzerne Maske in einen Stoffbeutel. Für die Kinder geht das Monster sogar brav in die Knie, bevor er sich scheppernd auf und davon macht.

Diese Nähe, die immer wieder zwischen den Perchtenläufern und den Zuschauern entsteht - darin besteht der wahre Zauber des Spektakels. Wenn man sich plötzlich wie gelähmt fühlt, weil ein als Braunbär maskierter "Tennengauer Rauhnachtspercht" auf einen zurast - um zärtlich seine Pranken um den tropfnassen Kragen zu legen ...

... oder aber der Sensenmann dem sechsjährigen Mädchen mehrmals die Mütze ins Gesicht zieht, dann muss man selbst über sein flaues Magengefühl lächeln.

Besonders gruselig sind die Masken der Rupertiperchten. Mit der Salzburger Truppe verbindet die Kirchseeoner seit Jahren eine enge Freundschaft.

"Ich freue mich so auf alle Gruppen", hatte der Vorsitzende des Kirchseeoner Perschtenbundes Soj, Wolfgang Uebelacker, noch wenige Minuten vor Beginn des Programms (im Bild: Frau Percht) gesagt. Im Festbüro, den leer stehenden Räumen eines Sportgeschäfts am Perchtenbrunnen, trank er da allerdings schon seine zweite "Frusthalbe". Warum?

Der Regen mache aus der mystischen Rauhnacht ein finanzielles Desaster: Weniger Besucher, weniger Verkauf an den Getränke- und Essensständen. Lediglich die Mini-Sammelmasken, die der Perschtenbund ebenfalls verkauft, scheinen gut zu gehen. Hier bekommt man die "Sonne" für 13 Euro oder wahlweise auch den "Hass" - der ist ganz neu im Angebot.

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