Süddeutsche Zeitung

Mittelschule Kirchseeon:Lernen mit Herz und Hand

Lesezeit: 3 min

Jeden Dienstag haben die Drittklässler der Mittelschule Kirchseeon zusammen mit ihrer Lehrerin Sandra Fessler Unterricht im Wald. Durch das Einbeziehen der Natur soll der Lehrplan spielerisch vermittelt und das Bewusstsein für die Umwelt geschärft werden. Die Kinder bezeichnen sich dabei sogar selbst schon als Waldexperten.

Von Anna Steinhart, Kirchseeon

"Ich hatte einige Schüler und Schülerinnen, die noch nie im Wald waren und wo die Eltern ein echtes Problem damit hatten, wenn sie mit schmutzigen Schuhen heimkommen", berichtet Sandra Fessler, Lehrerin an der Mittelschule in Kirchseeon. Um sie herum machen sich die 23 Kinder der dritten Klasse bereit, mit ihr ins Unterholz zu gehen. Um die Kinder für die Natur zu begeistern und ihnen eine Abwechslung zum Klassenzimmer zu geben, hat die Lehrerin für Deutsch, Mathematik und Sport zusammen mit Kollegin Beate Kiss die sogenannte "Waldklasse" ins Leben gerufen. Diese darf jeden Dienstag für vier Stunden Unterricht im Freien haben und dabei den Lehrplan spielerisch verinnerlichen.

Durch den Ganztagesunterricht der Drittklässler haben sich freie Stunden ergeben, die für AGs genutzt werden. In diesem Fall für die Umwelt-AG, die seit September 2023 durch die Idee der Klimaschule entstanden ist. Die Initiatorinnen wollten weg vom Bulimielernen, hin zu einem nachhaltigen Lernprozess. "Lernen mit Herz und Hand", nennt es Fessler. Sie habe dabei beobachtet, wie die Kinder mit Schulangst regelrecht aufblühten, da im Wald der Leistungsdruck abfalle. Auch die Sprachbarrieren würden überwunden, da gerade bei Bewegungsspielen einfach mit Spaß nebenher viel gelernt wird. Die anderen Klassen der Mittelschule haben statt dem Unterricht im Freien die Möglichkeit für andere Aktivitäten, wie beispielsweise die Teilnahme an der Yoga-AG.

Abflug in den Adlerhorst

Die Sonne scheint, und man merkt durch die allgemeine Unruhe bereits auf dem Pausenhof der Mittelschule in Kirchseeon, dass die Kinder jetzt endlich los zu ihrem Waldklassenzimmer, ihrem selbsternannten "Adlerhorst" möchten. Die Aufgabe für den Weg dahin lautet: "Findet Anzeichen dafür, dass es Frühling wird." In Zweierreihen und unter der Mahnung der Lehrerin, immer wie ein Vogelschwarm zusammenzubleiben, machen sich die Kinder zusammen auf den Weg. Hier und da bleiben sie stehen, um eine Osterglocke zu betrachten, oder dem Gesang eines Vogels zu lauschen. Die Drittklässler können erstaunlich gut das Zwitschern einer Elster von dem einer Amsel unterscheiden, und das Entdecken einer Traubenhyazinthe wird von einem erstaunten "Oh wie schön" begleitet.

An ihrem Waldklassenzimmer, einer kreisförmig angeordneten Sammlung aus Holz, auf denen die Kinder sitzen können, präsentieren sie ihre Entdeckungen. "Ich habe hinter einem Baum ein Schneeglöckchen entdeckt", berichtet Schülerin Johanna. Ganz fasziniert von den grünen Knospen eines Baumes zeigt sich Schüler Johannes. Durch Bewegungen der Arme veranschaulicht Fessler den Kindern, wie aus so einer Knospe dann eine Blüte wird. Die Schüler und Schülerinnen ahmen dabei die Bewegungen nach und machen somit auch noch ein bisschen Sport beim Lernen.

Die Stunden im Wald passt Fessler an den Stoff des Lehrplans an und ist ansonsten aber völlig frei bei der Umsetzung. Nach den allgemeinen Informationen über die Natur sollen die Drittklässler heute vorlesen üben. Dafür bekommen sie Lesekarten, die aufeinander aufbauen. Also nur wer laut vorliest und den anderen danach gut zuhört, kann das Spiel fortführen. Nächste Woche wird anhand von geometrisch verlaufenden Blattadern dann Algebra gemacht. Das Gebiet, in dem der Unterricht stattfindet, ist dabei nur ungefähr zehn Gehminuten von der Schule entfernt und klar abgegrenzt. In den Wald geht es übrigens, auch wenn es regnet. "Die Kinder merken das schlechte Wetter gar nicht", sagt Fessler.

Inzwischen haben die Kinder keine Angst mehr sich schmutzig zu machen

"Wir bekommen den Umweltschutz nur durch die Kinder hin", betont sie. Deshalb sei die Waldklasse auch die Klasse der Zukunft, da die Kinder dadurch lernen, was überhaupt schützenswert ist. Am Anfang hätten sie sich teilweise nicht mal hinsetzen wollen, da sie Angst gehabt hätten, sich schmutzig zu machen. Inzwischen wird die eigene Jacke auch schnell mal als Sitzunterlage oder die Kapuze zum Transport von Blütenblättern genutzt. Trotzdem gibt es auch Kinder, die sich nach wie vor schwertun, sich für die Natur zu begeistern. Fessler unterstützt diese dann durch Gespräche oder nützliche Tipps. Nach dem Motto "zusammen schaffen wir das", unterstützen sich die Kinder auch untereinander. "Im Klassenzimmer schaut jeder nach sich selber, hier in der Natur arbeiten wir als Team", sagt sie.

Die Bereitschaft für Unterricht im Freien zeigen auch ihre Kollegen und Kolleginnen. Viele haben jedoch Schwierigkeiten, einen geeigneten Platz dafür zu finden. Ein Großteil der Waldstücke sei nämlich privat und in anderen gebe es zu viele Wildschweine. Fessler findet jedoch: "Man muss nicht groß im Ebersberger Forst unterwegs sein, es reicht auch schon ein Park." Es sollte die Kinder einfach weg vom theoretischen Lernen, hin zu einer positiven Erfahrung in der Natur bringen. "Nomen, Verben und Adjektive können schließlich auch in der Natur gelernt werden", merkt sie an.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6531921
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.