Süddeutsche Zeitung

Gymnasium Kirchseeon:Frag' den Landrat!

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Bei einer Infoveranstaltung für Schüler des Gymnasiums Kirchseeon steht Landrat Robert Niedergesäß diesen Rede und Antwort. Selbst nach Ende des offiziellen Teils bleiben viele Interessierte zurück, um weiter zu diskutieren.

Von Annalena Ehrlicher, Kirchseeon

Der Unmut über die als Massenlager für Flüchtlinge genutzten Turnhallen im Landkreis war zunächst groß - auch in Kirchseeon. Betroffen von der Veränderung sind jedoch vor allem die Schüler. Vor diesen sprach Landrat Robert Niedergesäß am Dienstag bei einer von der Jahrgangsstufensprecherin der elften Klassen, Sabine Lörner, angeregten Informationsveranstaltung.

Begleitet wurde Niedergesäß von der Integrationsbeauftragten Mirjana Šimić sowie von Judith Gitay vom Team Asyl. Gemeinsam beantworteten sie die Fragen der Schüler - sofern es ihnen möglich war. "Dass über 100 Schüler aus unterschiedlichen Stufen gekommen sind, setzt doch ein Zeichen", sagt Lörner nach Ende der Veranstaltung und fügt hinzu: "Wir sind eine soziale Schule." Schülersprecher Jonas Glaser freut sich über das Entgegenkommen des Landrats: "So haben wir mal die Gelegenheit, ein bisschen Druck auszuüben", stellt er begeistert fest. Und das tun die Schüler, nie frech, nie unpassend - aber kritisch und bei vielen Fragen spürbar vor dem Hintergrund von Freundschaften mit den Asylbewerbern aus der Turnhalle. Die folgenden acht Fragen wurden von Schülern an den Landrat und sein Expertenteam gestellt.

Der Ministerpräsident wirft ja momentan viel mit dem Begriff Obergrenze herum. Wie stehen Sie dazu?

"Es ist durchaus legitim, darüber zu reden", beginnt Niedergesäß. Eine Obergrenze halte er grundsätzlich auch für richtig. Allerdings: "Da stellen sich natürlich zahlreiche Fragen." Wie eine solche Grenze überhaupt realisierbar sei? Wie hoch könnte diese dann liegen? Bei 200 000 Menschen? 400 000? "Und was machen wir, wenn sie im Sommer erreicht ist?" Der Landrat bietet kein Patentrezept, "ich bin hier selber hilflos." Frustriert zeigt er sich über die mangelnde Solidarität anderer europäischer Länder. "Frankreich will 1000 Syrer aufnehmen - lachhaft!" Er selbst sei überzeugter Europäer, Deutschland stehe jedoch momentan "mit der weltoffenen Haltung der Kanzlerin" schlichtweg alleine da. "Im Moment gibt es kein Recht auf europäischer Ebene - das frustriert mich."

Hier steht immer wieder im Raum, dass für die Leute in der Turnhalle gecatert werden soll. Stimmt das?

Konkret wisse er dazu nichts, grundsätzlich werde Catering in Massenunterkünften jedoch aus organisatorischen Gründen in Betracht gezogen. Für die vielen Leute seien die Küchen zu wenig, ebenso Töpfe und Geschirr. "In Vaterstetten klappt das mit dem Catering ganz gut", erklärt er. "Ein Gegenargument ist natürlich, dass man den Asylsuchenden eine sinnvolle Aufgabe nimmt - einkaufen, kochen. . . Aber organisatorisch ist es einfach besser realisierbar." Eine der Schülerinnen ergänzt im Nachhinein, die Treffen zum gemeinsamen Kochen seien für viele der Flüchtlinge ein absolutes "Highlight." "Es wäre wirklich schade, ihnen diese Freude zu nehmen", fügt sie hinzu.

Man hört häufig, dass die Flüchtlinge nicht nach München dürfen - stimmt das?

"Nein, natürlich dürfen die tagsüber nach München und können Ausflüge machen. Nur wo sie wohnen, können sie sich am Anfang nicht aussuchen."

Und die Tickets für die S-Bahn? Die müssen sie selber zahlen?

Auch darüber werde bereits diskutiert, antwortet er. "Ich weiß, dass das Geld, das sie zur Verfügung haben, wenig ist. Aber Leute mit Hartz IV bekommen ihre Bahn-Tickets auch nicht umsonst", fügt er hinzu. Jedoch sei ein Sozialticket in Arbeit. "Das ist tatsächlich ein Problempunkt."

Es war im Gespräch, dass wir für Deutschkurse abends in die Schule können. Was ist daraus geworden?

Der stellvertretende Schulleiter Christian Czempinski springt bei dieser Frage ein: "Wir haben zwei Schulräume zur Verfügung gestellt und es gibt inzwischen auch einen Nutzungsvertrag mit dem Landratsamt." Allerdings fehle es noch an der Abstimmung zwischen SKE und Landratsamt. "Dieser Schritt muss noch gemacht werden - dann steht dem nichts mehr im Weg." Der Landrat reagiert pikiert: "Das müsste eigentlich schon erledigt sein, ich dachte, das läuft schon." Er verspricht den Schülern: "Ich kümmere mich gleich später darum."

Einer unserer Bekannten aus der Turnhalle hat letzte Woche einen Brief bekommen, dass er umziehen muss. Der Brief kam am Donnerstag, am Dienstag wurde er verlegt. Warum ist das so knapp?

Das sei ein Organisationsproblem, so Niedergesäß. Grundsätzlich werde das Landratsamt ja von den Helferkreisen gelobt, wenn die Leute aus den Massenunterkünften in den Turnhallen ausziehen können. "Aber da besteht ganz klar das Problem der Massenabfertigung", erklärt er. "Wir stehen organisatorisch am Limit." Seine Mitarbeiter arbeiten häufig bis spät abends und am Wochenende, sagt er. "Es kommt bei euch an, als wäre das inhuman - aber für uns ist das auch kein Wunschkonzert. Ich bitte da um Verständnis. Auch menschlich ist das sehr schwierig."

Wie sieht es mit kommunalpolitischen Lösungen bei der Beschaffung von Unterbringungen aus?

"Zwingen" könne man natürlich niemanden, betont der Landrat. Die Suche nach langfristigeren Lösungen beginne jedoch auch langsam in den Gemeinden. "Die Erkenntnis, dass man was Nachhaltiges braucht, reift in den Kommunen." Ein Beispiel dafür sei Bruck. "Ein Problem bei vielen potenziellen Vermietern sind allerdings die Nachbarn, die sofort Sturm laufen, wenn in Erwägung gezogen wird, eine Wohnung für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen", fügt er hinzu. Das schrecke viele Investoren ab.

Haben Sie keine Angst, dass die Integration der Flüchtlinge viel schwieriger wird, wenn sie in großen Unterkünften zusammenwohnen? Man müsste da doch langfristiger planen und nicht so große Klötze hinsetzen. Früher nannte man das, glaube ich, Gettobildung.

Das sei richtig, antwortet Niedergesäß zögernd. Es gebe ja eben deshalb auch Leute, die in Wohnungen untergebracht sind. "Aber bei so vielen Menschen kommen wir mit den Wohnungen einfach nicht hinterher. Das ist schlichtweg eine Frage von freien Kapazitäten", erklärt er. Selbst für Einheimische sei es manchmal schwer, eine günstige Wohnung zu finden. "Und wie gesagt: Häufig spielt auch die Reaktion der Anwohner eine Rolle."

Aus der Unterkunft hier wurden Stühle und Tische aus Brandschutzgründen entfernt und es gibt keine Aufenthaltsräume. Das ist fast menschenunwürdig, oder?

" Das zeigt, dass die Turnhalle eine Notunterkunft ist", antwortet der Landrat. Mit einer Catering-Lösung wie in Vaterstetten würde das Landratsamt sich allerdings dann auch dazu verpflichten, die notwendigen Module zur Verfügung zu stellen. "Aber optimal wird es auch dann noch nicht sein."

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SZ vom 28.01.2016
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