Süddeutsche Zeitung

Mitten in Kirchseeon:Das Fingergedächtnis

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Manche Automatismen merkt sich der Körper erfreulicherweise, hat man sie einmal erworben. Doch was beim Schwimmen und Radfahren problemlos funktioniert, wird beim Eintippen der EC-Karten-Geheimzahl zuweilen zum Problem.

Kolumne von Michaela Pelz, Kirchseeon

Beim Stichwort "Gedächtnis" spuckt das Internet knapp 33 Millionen Treffer aus - schon mit einer Zusammenfassung des Themas könnte man sich ewig beschäftigen. Den meisten Menschen reicht aber schon das Wissen um die Existenz von Kurz- und Langzeitgedächtnis. Oftmals aber als Terminus nicht unbedingt geläufig ist hingegen das prozedurale Gedächtnis. Es sorgt dafür, dass man auch nach jahrelanger Inaktivität im Schwimmbad nicht untergeht wie ein nasser Sack oder die Beine automatisch wissen, was sie zu tun haben, sobald das Gesäß den Fahrradsattel berührt.

Damit eng verwandt ist das Fingergedächtnis, ein Begriff, der vor allem von jenen verwendet wird, die ihre entsprechenden Fertigkeiten zur Produktion von Musik nutzen. Doch auch wer es in diesem Leben nicht mehr in die Pianistinnen-Hall-of-Fame schaffen wird, setzt meist täglich Vertrauen in diese spezielle Erinnerungsfähigkeit des eigenen Körpers. Nämlich dann, wenn es um Passwörter geht.

Das fängt schon beim morgendlichen Einloggen ins Firmennetzwerk an. Entweder man hat das sehr lange und sehr komplizierte Gebilde aus Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen auf einem Zettel notiert, der praktischerweise mit Klebeband direkt an der Unterseite des Rechners befestigt ist - wovon IT-Spezialistinnen, Polizeibeamte und natürlich sämtliche Krimifans stark abraten. Oder man verlässt sich darauf, dass die eigenen Finger die vielfach erprobte Kombination schon automatisch eingeben werden.

Vorsicht ist hier nach dem aus Sicherheitsgründen regelmäßig durchgeführten Wechsel des Passworts geboten. Allerdings sind die morgens um acht am heimischen Schreibtisch mit der Eingabe eines fehlerhaften Codes verbundenen Gefahren längst nicht dieselben wie beim Vergessen der eigenen PIN während eines Bezahlvorgangs im örtlichen Einzelhandel.

Wie unglaublich hinderlich und peinlich obendrein ist eine gleich zweimalige, falsche Eingabe! So erlebt im voll besetzten Kirchseeoner Buchladen, wo man kurz vor dem Fest unter Zeitdruck steht, um die bestellte Ware abzuholen. Schafft man es dann nicht, den Zahlungsvorgang ordnungsgemäß durchzuführen, obwohl man bereits vorgelassen wurde, ist der Weg zum Nervenzusammenbruch nicht weit.

Außer, die Inhaberin des Buchladens entscheidet freundlich und mit unerschütterlicher Gelassenheit, das Ganze an dieser Stelle abzubrechen: "Kommen Sie lieber morgen wieder - nicht, dass die Karte komplett gesperrt wird." Wenn beim erneuten Besuch das Geschäft dann problemlos zum Abschluss gebracht wird, braucht das regenerierte Gehirn der Kundin garantiert keine Eselsbrücke, um sich langfristig zu merken, dass sie hier definitiv wieder einkaufen wird.

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