Süddeutsche Zeitung

Karaoke-King:Der mit der Schickeria tanzt

Lesezeit: 5 min

Günter Valérien, Musiker, Entertainer und ehemaliger Gastwirt, blickt mit 82 Jahren auf ein pralles Leben zurück. Aufhören kommt für den "Karaoke-King" aus Oberpframmern nicht infrage.

Von Anja Blum

Zwei Dinge hat das bunte, pralle Leben Günter Valérien gelehrt: Es gibt sehr viele Leute, die singen wollen, viel mehr jedenfalls, als wirklich singen können. Wirklich nette Menschen aber treffe man nur selten, sagt er beim Gespräch im Glonner Marktblick, wo Valérien am kommenden Sonntag, 16. August, mit Austro-Pop und Swing auftreten wird. Um diese Aussage einordnen zu können, muss man ein paar Dinge über den Oberpframmerer wissen: Valérien hat die Zeit, als Schwabing noch Schwabing war, hautnah miterlebt, und zwar als Musiker, Ladenbesitzer und Gastwirt. Er hat sie alle kennengelernt, die Schönen und Reichen, die viel besungene Münchner Schickeria. Denn Günter Valérien ist obendrein seit Anfang der 90er der "Karaoke-King". Noch heute, mit 82 Jahren, kann man ihn buchen, für Feste und Veranstaltungen aller Art.

Er selbst sei sehr bodenständig, sagt Günter Valérien, er komme mit jedem klar. Aber er habe "endlos viel erlebt, Partys, da dachte ich, jetzt geht's aber los!" Menschen, die sich aufführen, solche, die nur aus sind auf Gratisvergnügen, dazu Großkopferte. Sogar er selbst sei beinahe mal in eine Rauferei verwickelt worden, mit einem unverschämten Italiener - "das war ein Grattler!" Und seine Frau habe mal zwei sehr bekannte, aber gleichermaßen betrunkene Schauspieler aus der Kneipe geworfen. "Da ham's aber g'schaut!"

Doch der 82-Jährige ist Gentleman genug, um nicht zu tief aus dem Nähkästchen zu plaudern, die wirklich wilden Geschichten, so ist zu vermuten, behält er lieber für sich. "Mei, das ist alles so lang her, ich hab auch viel schon vergessen", sagt er und grinst. Um seine Erinnerungen aufzufrischen, hat Valérien ein paar Fotos dabei, von den Highlights seiner Auftritte. Etwa beim FC Bayern, bei der "Show-Chance" des ZDF (einem Vorläufer von "The Voice of Germany") oder mit der Spider Murphy Gang, die zu seinem 80. Geburtstag in den Marktblick kommt. Mit Stars wie Jerry Lee Lewis, Fats Domino oder Chuck Berry steht Valérien in München auf der Bühne.

Eigentlich lernt Günter Valérien, geborener Münchner, Großhandelskaufmann, doch das ist nichts für ihn. Schon bald schmeißt er hin - geht lieber abends in die Goethestraße. "Da gab es damals auf hundert Metern an die sieben Lokale, da habe ich schnell meine Musiker gefunden." Seit den 60ern spielt er in diversen Bands, tourt durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Gesang und E-Bass sind stets seine Ausdrucksmittel, musikalisch kommt er aus dem Rock 'n' Roll, Elvis und die amerikanischen Kasernen in München haben ihn geprägt.

Doch auch der Genremix reizt ihn immer, er schreibt Country auf Bairisch oder Swing mit österreichischem Schmäh, präsentiert in Amadeus-Rokoko-Sakkos. Besonders wild und ausgeflippt ist offenbar Valériens Band Die Bosse - das Foto zeigt lauter junge Kerle im Mafia-Outfit, mit Hüten und Westen. "So sind wir einmal im Vier Jahreszeiten aufgeschlagen, haben gleich zwei Flaschen Johnny Walker bestellt und dann eine Gaspistole abgefeuert. Da war was los!"

Im Laufe der Jahrzehnte betreibt Günter Valérien in München zudem drei Musikgeschäfte, versorgt internationale Stars mit Equipment, wenn diese im Circus Krone auftreten. "Bei Tina Turner ging mal ein Verstärker kaputt, da musste ich spätabends noch liefern", erzählt er. Vor Aufregung habe er sich da gleich mal von Zuhause ausgesperrt. Anfang der 80er dann übernimmt Valérien die Kneipe "Doktor Flotte" (heute das "Vereinsheim Schwabing"), wo er selbst oft spielt, aber auch Gastgeber ist für viele andere Musiker. Erst 1993 gibt er den Laden auf, weil "Schwabing dann nicht mehr Schwabing ist".

Es folgt der große Umbruch: Die Familie zieht nach Oberpframmern - und Valérien entdeckt Karaoke für sich. Ein Spezl von ihm, Bravo-Fotograf, bringt das neue Format nach München, erzählt er, "und ich habe das dann richtig professionell durchgezogen". Fortan tingelt er als Karaoke-King durch die Lande, durch alle möglichen und unmöglichen Lokale, ein Wirt aus Herbertshausen hat ihm den Spitznamen verpasst. Im Vergleich zu heute sind seine Shows damals allerdings mit gehörigem Aufwand verbunden: 40 Kilo habe die Kiste mit Laserdisc-Platten gewogen, mit denen Playback, Videos und Texte zum Mitsingen abgespielt werden konnten. Hinzu kam ein riesiger Röhrenfernseher.

Doch der Aufwand lohnt sich, die Menschen, Normalos wie Promis, sind verrückt nach Karaoke. Rekordverdächtig ist dabei wohl das Pasinger Traditionslokal "Confetti": Mehr als 22 Jahre lang veranstaltet der King dort jeden Sonntag seine Show, die Gäste stehen bereits um 18 Uhr bis hinaus auf die Straße an. Doch 2015 wird die Gastronomie leider eingestellt, so wie viele andere Livebühnen in München auch. "Viele neue Wirte wollen keine Musik und keine Karaoke, oder zumindest nichts dafür bezahlen", sagt der King.

Deswegen ist Valérien nun stets "auf der Suche nach neuen Herausforderungen und Auftrittsmöglichkeiten für seine vielen Stammsänger", wie er auf seiner Homepage schreibt. "Wir wollen die Tradition aufrecht erhalten!" Nach wie vor gebe es etwa hundert Fans, die nur auf eine Chance warteten, mit dem King auf einer Bühne zu stehen. Und man glaubt es sofort, denn der 82-Jährige sprüht nur so vor positiver Energie und vor Leidenschaft für die Musik. Sein Alter jedenfalls merkt man ihm nicht an, wie er da sitzt und locker plaudert, mit sorgsam geföhntem Haar, Sonnenbrille und Karaoke-King-Hemd.

Wie geht das? Wie hält man das durch, ein ganzes Musikerleben? Davon 30 Jahre als Entertainer. Erst recht jetzt, in seinem Alter. Valériens Erklärung: "Seit ich Karaoke mache, trinke ich überhaupt keinen Alkohol mehr." Cola oder Eistee, das seien die Getränke seiner Wahl, "ich bin halt ein Süßer". Und geraucht habe er ohnehin noch nie, trotz all des Rock 'n' Rolls.

Überhaupt bezeichnet sich der 82-Jährige heute als "echter Landler". Seine Kinder sind erwachsen, in Oberpframmern lebt er mit seiner Lebensgefährtin, zwei Hunden, vier Perserkatzen und sieben Seidenhühnern. Erst kürzlich ist der King beim WSV-Sommerfest in Glonn aufgetreten - sang dort erfolgreich gegen die "Corona-Depression" der Menschen an - und für eine neue Oberpframmerer Brauerei hat er sogleich einen bayerischen Blues komponiert. Valériens Stammlokale sind die Wiesmühle sowie der Marktblick - und es sei ganz erstaunlich, wen man selbst auf dem Dorf völlig unverhofft treffen könne, sagt er. "Kennen Sie Johnny Logan, den irischen Sänger?" Es gebe eben immer wieder im Leben Gelegenheiten, die man beim Schopf packen müsse.

Klar, die Pandemie macht das Geschäft für den King noch schwieriger, als es ohnehin schon ist. "Zum Glück habe ich ein paar Reserven", sagt er. Doch die Hände in den Schoß zu legen ist seine Sache nicht, längst hat er ein neues, Corona-verträgliches Format in der Pipeline - doch verraten will er darüber freilich noch nichts. Auf Youtube sind zudem neuerdings einige Songs mehr von Günter Valérien zu finden. Da ist auch viel Schrott dabei", sagt er und lacht, "aber man bekommt einen ganz schönen Querschnitt durch die Jahrzehnte".

Sein Wiesnhit "Weiter, weiter, weiter" von 2011 ist natürlich dabei, ein simples, volkstümliches Mitgröllied, oder eine ziemlich peinliche Dancenummer mit dem vielsagenden Titel "Der Opa ist so geil", aber auch ein paar erfreuliche Ohrwürmer im Stile der guten alten Spiders. Darin macht der Sänger auch mal ganz unverblümt Werbung in eigener Sache: "Come on, sing mit dem King, der reißt dich mit!" Günter Valérien ist sich eben für fast nichts zu schade, im besten Sinne. Und wer weiß, vielleicht schreibt der Karaoke-King ja wirklich seinen ersten echten Hit mit hundert Jahren, wie es in einem seiner Songs heißt. Es wäre ihm zu wünschen.

Günter Valérien mit seinem Duo "Austria Rat Pack", Austro-Pop und Swing, tritt am Sonntag, 16. August, im Glonner Marktblick auf. Beginn ist um 18 Uhr. Plätze reservieren kann man im Lokal, unter der Telefonnummer (08093) 90 31 66 oder per E-Mail an info@steinbergers-marktblick.de.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4997659
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.08.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.