Süddeutsche Zeitung

Jubiläum in Grafing:Das offene Haus

Lesezeit: 4 min

Die Auferstehungskirche in Grafing feiert ihren 50. Geburtstag. Im Halbrund begegnet sich die Gemeinde auf Augenhöhe

Von Daniela Gorgs, Grafing

Wenn Pfarrer Axel Kajnath die Perspektive wechselt und in der Auferstehungskirche auf den Besucherstühlen Platz nimmt, fällt sein Blick unweigerlich auf die vier Evangelisten. Auf großen, schweren Tafeln fixiert hängen sie an den Wänden im Eck, direkt hinter dem Altar. Seinem Stirnrunzeln nach zu urteilen, sind die übermanngroßen Bilder nicht ganz Kajnaths Geschmack. Ein Glück, dass er sie normalerweise im Nacken hat, dann, wenn er zu seiner evangelisch-lutherischen Gemeinde spricht und den Gottesdienst zelebriert. "Es brauchte Zeit, sich an sie zu gewöhnen", sagt er. Doch Kajnath hat sich arrangiert. Er sagt: "Die vier Evangelisten sind Zeugen, dass die Kirche eine Geschichte hat, die über ihre Zeit hinausgeht."

Die Auferstehungskirche in der Glonner Straße in Grafing feiert am Sonntag, 18. Oktober, 50. Jubiläum. Für eine Kirche sei das eigentlich kein besonders hohes Alter, schreibt Kajnath im Gemeindebrief. Doch trotzdem ein Grund, diesen Geburtstag zu feiern. Leider unter den besonderen Maßnahmen, die Corona vorgibt. Die Reihen, die im Halbrund im Kirchenraum angeordnet sind, wurden bis auf ein paar wenige Stühle zusammengeschoben. Wo sonst bis zu 150 Gläubige Platz haben, können sich jetzt nur mehr maximal 40 hinsetzen.

Es ist nicht das erste Jubiläum, das Kajnath mitfeiert, der Pfarrer kam 1992 nach Grafing. Die Geschichte der Kirche erzählt er immer wieder gern. Als sie am 25. Oktober 1970 vom Oberkirchenrat Hans Schmidt feierlich eingeweiht wurde, lag das Haus beinahe noch am offenen Feld. Doch mit Wachstum und Zuzug verschob sich der Stadtrand gen Westen. Anfang der 1990-Jahre wurde der Hans-Eham-Platz geplant, später das Seniorenhaus gebaut. Die Kirche rückte vom Rand ins Zentrum. "Wir sind mittendrin", sagt Kajnath stolz. "Dadurch nimmt die Kirche am öffentlichen Leben teil." So sei es keine Seltenheit, dass Grafinger während des Tages spontan in die Kirche kommen, Ruhe und innere Einkehr genießen, ein Gebet sprechen, während draußen die Autos vorbeifahren und die Fußgänger spazieren.

Die Geschichte der Auferstehungskirche beginnt auf der anderen Straßenseite. 1924 stand dort ein altes Feuerwehrhaus, das zur Kirche umgebaut wurde. Nach Kriegsende stieg die Zahl der damals etwa 300 evangelischen Gemeindemitglieder sprunghaft an, die Heilandskirche reichte nicht mehr aus. Bis die Planung einer größeren Kirche aber beginnen konnte, dauerte es noch einige Zeit. Erst Ende der 1960er-Jahre bekam die Gemeinde das Grundstück für die Kirche. Am 25. Oktober 1970 zogen die Gemeindemitglieder mit den liturgischen Gerätschaften in den Händen hinüber auf die andere Straßenseite in das fertige Kirchenhaus, das mit seinem markanten Glockenturm bis heute das Stadtbild Grafings prägt.

Die Architektur der Kirche ist einzigartig: ein sechseckiger Bau mit unterschiedlichen Firsthöhen. Die Fenster sind als Kreuze angeordnet. Direkt daneben ragt ein rund 30 Meter hoher Kirchturm in den Himmel, der wie ein stiller Mahner gebietet, den Blick nach oben zu erheben, um von dort Weisung zu bekommen. Die Gebäudeform erlaubt im Inneren eine halbrunde Anordnung der Stühle. Dadurch hat man eine andere Beziehung zum Altar.

Wer hier in der letzten Reihe sitzt, ist immer noch mittendrin. Genau das wollten der damals amtierende Pfarrer Johannes Seiß und Architekt Franz Lichtblau bewirken. Und so sieht es auch Kajnath. "Der Gottesdienst soll zur Feier der Gemeinde werden." Altar, Taufbecken und Kanzel sind auf einer Ebene. "Es gibt keine Hierarchie", sagt der Pfarrer. Von großer Bedeutung ist für ihn auch die Flexibilität des Kirchenmobiliars, das nicht fest installiert ist. Der Altar kann zum Beispiel für Konzerte nach hinten gerückt werden. So können die Kirchenmitglieder nicht nur das Gemeindehaus, das fünf Jahre nach der Kircheneinweihung gebaut wurde, nutzen, sondern auch die Akustik des großen, hohen Raumes genießen.

Ein Swing-Konzert mit 14-köpfiger Formation fand dort bereits statt, das Theatro Lie-Bi-Do feierte hier seinen 20. Geburtstag. Ausstellungen zu 60 Jahre Kriegsende, Bücherverbrennung oder mit kraftvollen Bildern und lyrischen Texten waren zu sehen. Im Oktober liest die bekannte Schauspielerin und Autorin Marianna Sägebrecht. Viele verschiedene Gruppen der Stadt kommen und füllen den spartanisch ausgestatten Raum mit Leben. Die Angebote der evangelischen Kirche gehen also weit über die übliche Mischung aus Kultur und Konzerten hinaus und setzen gesellschaftliche wie politische Akzente.

Wie die meisten evangelischen Gotteshäuser ist auch die Auferstehungskirche schlicht gestaltet. Blickfang ist das Kreuz hinter dem Altar. Es stammt aus der Werkstatt des Ebersberger Kunstschmieds Manfred Bergmeister. Das Kreuz ist umrahmt von den vier Evangelisten. Auch sie haben die gleiche Wanderschaft hinter sich wie die liturgischen Gerätschaften: Ein Grafinger Kunstmaler löste die Fresken von den Wänden der alten Heilandskirche, fixierte sie auf Kunstharz und befestigte sie auf Tafeln. Die Bilder des Münchener Kunstmalers Joseph Bergmann wurden so zur Konstanz im Neuanfang. Und der helle, lichte hohe Raum ist immer noch schlicht genug, dass er die Gedanken und Sinne der Kirchenbesucher auf das Wesentliche ihres Glaubens zu konzentrieren vermag: die Einladung zum Gebet. So gefällt es Pfarrer Kajnath. Den großen Christus, der neben den vier Evangelisten die Heilandskirche zierte, verbannte er allerdings in seine Garage.

Die Feier zum Jubiläum am Sonntag, 18. Oktober, beginnt mit einem Festgottesdienst mit Regionalbischof Christian Kopp. Weil nicht alle Gläubigen in der Kirche Platz haben werden, wird das Geschehen live auf den Kirchenvorplatz übertragen. Am Nachmittag sind zwei Konzerte geplant: Um 17 Uhr spielt der Glonner Organist Thomas Pfeffer Zeitgenössisches, um 19 Uhr singt der evangelische Kirchenchor unter der Leitung von Rita König geistliche und weltliche Musik. In einer Begleitausstellung wird die Pfarrgemeinde das Gründungsjahr mit persönlichen Erinnerungsstücken und Fotos der Gemeindemitglieder beleuchten.

Wer an der Veranstaltung teilnehmen möchte, möge sich bis Samstag, 9. Oktober, im evangelischen Pfarramt unter Telefon (08092) 9420 oder per Mail unter pfarramt.grafing@elbk.de anmelden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5050046
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.10.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.