Süddeutsche Zeitung

Gymnasium Vaterstetten:Wie Kino im Kopf

Lesezeit: 3 min

Jugendbuchautorin Katja Brandis liest aus der Reihe "Woodwalkers" vor völlig begeisterten Sechstklässlern

Von Alexandra Leuthner, Vaterstetten

Ein bisschen neidisch dürften die Lehrerinnen und Lehrer gewesen sein, die den Pulk ihrer Sechstklässler an diesem Vormittag in den Lichthof des Gymnasiums begleitet hatten. Jetzt flankierten sie zwei Schulstunden lang die Stuhlreihen, auf denen die Kinder Platz genommen hatten - und es blieb ihnen nicht viel zu tun, als verblüfft zu beobachten, mit welchem Enthusiasmus ihre Schützlinge bei der Sache waren. Katja Brandis, die Frau hinter der Jugendbuchreihe "Woodwalkers", hatte die Buben und Mädchen fest im Griff, selbst wenn einer der Gymnasiasten seine Aufmerksamkeit mal für ein paar Augenblicke lieber seinem Nachbarn als der Referentin schenkte. Den komplimentierte die Autorin mit ein paar warmen Worten zu einem freien Stuhl in einer anderen Reihe. Schließlich hat sie selbst einen Zwölfjährigen zu Hause. Sie weiß, wie das geht.

Und so weiß sie auch genau, wie sie diese Altersgruppe einfangen kann. Unter drei Pseudonymen schreibt die 48-Jährige Kinderbücher, Ratgeber, auch Romane für Erwachsene. Aber so richtig durchgestartet ist sie erst jetzt, mit ihren Woodwalkers. Unlängst fand sie sich auf Platz 2 der Spiegel-Bestsellerliste für Jugendliteratur wieder. "Ja, erzähl du nur", hätten Freunde zu ihr gesagt, als sie vor Freude gleich zum Telefon gegriffen habe. Aber jetzt habe sie Platz 1 im Visier, erzählte sie den Vaterstettener Gymnasiasten, "aber der ist ständig von 'Gregs Tagebuch' besetzt." Dafür erntete sie eine kurzen Beifallskundgebung aus den Reihen der Schüler - die sich im Übrigen als versierte Kenner der Woodwalker-Reihe zeigten. Viele hatten Ausgaben von zu Hause mitgebracht und ließen sie von der Autorin signieren.

Übrigens kann, wer sich in seiner Jugend mit Hanni und Nanni in den Gängen des Mädcheninternats Lindenhof herum getrieben hat, später Harry Potter nach Hogwarts und in den Raum der Wünsche gefolgt ist, nachvollziehen, wie die Woodwalker-Geschichte, wie Internatsgeschichten überhaupt funktionieren. Nur dass es bei den Woodwalkers keine umtriebigen Zwillingsmädchen oder Zaubererkinder sind, die in einer englischen Parallelwelt leben, sondern Gestaltwandler. Die Hauptfigur der sechsteiligen Reihe - der sechste Band "Tag der Rache" ist vor wenigen Tagen im Arena Verlag erschienen - ist ein Puma, der als wilde Raubkatze aufgewachsen ist und jetzt gelernt hat, Menschengestalt anzunehmen. Er wird von einem Gleichgearteten in die "Clearwater High" gebracht, einer Schule für Gestaltwandler, wo er sich unter Seinesgleichen frei bewegen und outen kann.

In einer Auflage von 400 000 Stück seien die Bücher im Handel, erzählte Brandis, die sich nach dem Studium der Amerikanistik, Germanistik und Anglistik und der anschließenden Beschäftigungen als Lektorin und Journalistin mit 30 Jahren selbständig gemacht hatte. Und auch an diesem Vormittag in Vaterstetten gingen die Bücher, die sie mitgebracht hatte, weg wie warme Semmeln. Sämtliche Exemplare des ersten Woodwalker-Bands waren schon nach der früheren Lesung für die restlichen sechsten Klassen an diesem Tag ausverkauft. Zwei Klassen hätten Brandis Bücher als Lektüre im Unterricht behandelt, erzählte Lehrerin Christl Ostertag, die sich völlig angetan von der Begeisterung zeigte, mit der die Kinder die Autorin mit Fragen löcherten. Wie lang sie brauche für ein Buch - sie schreibt zwei pro Jahr - ob sie schon begonnen habe, die Nachfolgereihe, "Seawalkers", zu schreiben - "ja, am Dienstag, drei Kapitel sind schon fertig", - ob sie am PC schreibe - "ja, mittlerweile schon, das ist so schön einfach". Und natürlich wollten die Kinder auch wissen, was so eine Schriftstellerin verdient. "Ich kriege einen Euro pro Buch, da könnt ihr es selbst ausrechnen", sagte sie und verwies darauf, dass sie sich derzeit jedes Jahr einen Porsche kaufen könnte. "Ich habe aber keinen, will ich auch nicht", erklärte sie gleich darauf einem neugierigen Schüler; ihr alter Kombi sei ihr lieber.

Mehr als 1000 solcher Lesungen hat Katja Brandis, im bürgerlichen Leben Sylvia Englert, inzwischen hinter sich gebracht. Wenn sie nicht schreibt, tourt sie durch die Republik. Wie in Vaterstetten würzt sie ihre Lesungen mit Erzählungen über ihren Arbeitsalltag und ihre Recherchereisen, die sie im Fall der Woodwalkers unter anderem in den Yellowstone-Nationalpark geführt haben, wo sie die Originalvorlagen für ihre tierischen Hauptfiguren gefunden hat. Die Frage einer Schülerin, ob in Zeiten des Handys Bücherschreiben überhaupt noch Zukunft habe, schien an diesem Vormittag jedenfalls mit einem klaren "Nein" beantwortet werden zu können. Und allen, die es nicht glauben wollen, möchte man den Satz einer Vaterstettener Sechstklässlerin entgegenschleudern: "Meine Mama hat mal gesagt, 'Lesen ist wie Kino im Kopf'. Seither lese ich jede Woche drei Bücher."

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SZ vom 19.01.2019
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