Süddeutsche Zeitung

Großes Interesse:Dem Alter mit Engagement begegnen

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Ein Aktionstag an der Volkshochschule Vaterstetten bietet einen kritischen Vortrag zum Thema Pflege, dazu Infostände und Mitmachaktionen. Der Baulärm im örtlichen Seniorenwohnheim sorgt erneut für Zündstoff

Von Stella Vogl, Vaterstetten

Manch einem beschert es graue Haare, aber niemand ist davon ausgenommen: Unter dem Titel "Alter(n)" ist am Samstag ein sehr umfassendes Thema im Mittelpunkt eines Aktionstags an der Volkshochschule Vaterstetten gestanden. Dabei ist der Andrang auf den einführenden Vortrag von Claus Fussek so groß, dass manche Besucher in einen anderen Raum mit Live-Stream ausweichen müssen.

Dynamisch setzt sich der Autor mit Missständen in der Pflege auseinander, oder, wie er es bezeichnet, mit "unbequemen Wahrheiten". Während also Landrat Robert Niedergesäß (CSU) und die Vorsitzende des Seniorenbeirats Herma Bianca Schlömer das Thema mit Anekdoten über graue Haare spicken, schlägt Fussek einen ernsteren Ton an: "Nicht abstrakt, sondern konkret reden", ist das Credo seines Vortrags, in den er die Geschichte von Andreas Seyerlein einbettet. Sprachlich bedächtig, aber inhaltlich aussagekräftig berichtet dieser von der Lärmbelästigung durch den Umbau des Vaterstettener Seniorenwohnheims, der seine inzwischen verstorbene Mutter 2018 sechs Monate lang ausgesetzt war. "Im Mai verstummte meine Mutter", nämlich dann, als die Bohrmaschinen anfingen, laut zu werden, erzählt er. Das Bauprojekt nahm Seyerleins Mutter ihren ruhigen Rückzugsort und ist für Fussek ein Beispiel dafür, dass die Kostenfrage längst nicht nur "Angehörige oder Erben" betrifft, sondern auch die Pflegebedürftigen selbst. Der Umbau des Heims, über den die SZ Ebersberg bereits berichtet hat, ist auch während der Veranstaltung präsent und bietet viel Zündstoff, sodass im Anschluss eine hitzige Diskussion entbrennt.

Fussek findet drastische und durchaus unangenehme Worte für die Probleme in der Pflege, die wortwörtlich wie eine "Branche" organisiert sei und den menschlichen Aspekt häufig hinter den ökonomischen stelle. Dabei sieht er nicht nur die Pflegebedürftigen, sondern auch das Personal betroffen. Denn dass zwei Pfleger für 30 Patienten verantwortlich seien, sei zwar keine Ausnahme, aber utopisch zu meistern.

Doch bei allen wirtschaftlichen Streitfragen ist für Fussek die Einsamkeit "das größte Problem". Seine Forderung nach verstärktem "Bürger-Engagement" geht einher mit dem Appell an Angehörige, Einsatz zu zeigen. Vor allem an Stellen wie diesen regt der Vortrag nicht ganz schmerzfrei zum Nachdenken an: Wie sehr hat man sich selbst gekümmert? Wie viel Verantwortung hat man an die Pflege abgegeben? Dass Einrichtungen Bewertungen von "hundertprozentiger Zufriedenheit" bekommen, erscheint Fussek "wie in Nordkorea". Er selbst ist pflegender Angehöriger. Seiner Ankündigung, "ich werde nicht so lange sprechen, weil ich um 14 Uhr im Stadion sein muss", folgt nicht nur Lachen aus dem Publikum, sondern auch der Satz: "Ich fahre nach dem Fußballspiel wieder zu meinen Eltern".

Völlig unverständlich ist für Fussek, "dass das Volksbegehren für eine bessere Pflege deutlich weniger bekannt ist als das für den Erhalt der Artenvielfalt". Auch dem Vaterstettener Publikum scheint diese Initiative weitgehen neu zu sein, die Reaktionen darauf indes sind positiv. In der Gesellschaft müsse sich "ein Wandel vollziehen", fordert etwa die Besucherin Barbara Funk. Gleichzeitig lobt sie Fusseks Kritik an den "Pflegeinstitutionen, die an die Börse gehen". Auch sie vertritt die Forderung nach mehr Menschlichkeit und weniger Ausrichtung an Aktienkursen: "In den 60 und 70er Jahren war die Pflege noch menschlicher".

Während der Vortrag für Tiefgang mit heiteren Zwischentönen sorgt, bieten die Infostände und Kurse im Anschluss eine Auflockerung durch aktive Teilnahme. Hier wird der "Herausforderung Altern" mit Feng Shui, Musik und Showkochen begegnet. Einen sicheren Umgang mit Technik verspricht der Handycoaching-Stand. Jürgen Hartmann ist einer der vielen Interessierten und steht dort geduldig an, um zu "lernen, wie man Bilder verschickt". Die Möglichkeit, mit der Familie auch virtuell in Kontakt zu bleiben, will er sich nicht nehmen lassen. Neben dem Geist soll aber auch der Körper angesprochen werden. So geht es in dem Qi-Gong-Kurs von Yvonne Halaz um körperliche Besinnung. Konzentriert bewegen sich die sechs Teilnehmerinnen bei der Übung "Über den großen See rudern" von einer leichten Hocke in eine aufrechte Haltung, wobei sie die Arme kreisförmig hochziehen, so dass sich eine ruderähnliche Bewegung ergibt.

So trifft der von Seniorenbeirätin Herma Bianca Schlömer zitierte Spruch "Altern tun wir alle, aber es kommt darauf an, wie" nicht nur auf das Angebot zu, sondern auch auf die Einstellung der zahlreichen Besucher.

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Quelle:
SZ vom 25.03.2019
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