Süddeutsche Zeitung

Grafing:"Mit diesen Planungen saufe ich ab"

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Der Bau von Hochwasserrückhaltebecken im Westen Grafings ist bei den Grundeigentümern umstritten. Nun zeichnet sich eine vielversprechende Alternativlösung ab

Von Thorsten Rienth, Grafing

Mit zwei großen Hochwasser-Rückhaltebecken im Westen der Stadt will Grafing die Überschwemmungsgefahr für seine Innenstadt senken. Im Rathaus laufen schon die Vorbereitungen für das Planfeststellungsverfahren. Doch was im Zentrum hoch willkommen ist, stößt bei den Eigentümern der Überflutungsflächen auf starken Widerstand. "Mit diesen Planungen saufe ich ab", prognostizierte einer der Landwirte. Er werde das Vorhaben verhindern, wo er nur könne. Womöglich wird der Rechtsweg nun aber gar nicht mehr nötig sein. Das Bauamt prüft eine Alternative.

Im Kern geht sie auf einen Vorschlag von Günter Baumgartner aus den Reihen der Grafinger Bayernpartei zurück: Die Urtel soll von der "Hammerschmiede" an und bis mindestens zur Bahnstrecke München-Rosenheim um etwa einen Meter tiefergelegt und mäandert werden. Klingt nach einer riesigen Baustelle - und wäre eine solche wohl auch fraglos. Andererseits: "Wir würden damit nur etwas rückgängig machen, was wir uns in den 1930er Jahren praktisch selbst eingebrockt haben."

Baumgartner spielt auf eine damalige Großbaustelle des Reichsarbeitsdienstes an. Dieser hatte, um nötiges Gefälle für eine Stromturbine an der "Walche" aufzubauen, das Areal auf etwa eineinhalb Kilometern Länge komplett umgestaltet. Am Ende des Projekts war die Urtel begradigt, rund 30 Meter gen Norden verschoben und gut einen Meter höher gelegt. "Von da an aber speicherte der Boden das Wasser nicht mehr so gut und es hat auch keine Mäander mehr gegeben, die es sonderlich gebremst hätten", erläutert Baumgartner. Dann folgt der entscheidende Satz: "Wir haben mit den Eigentümern geredet - und die könnten sich das vorstellen."

Für eine Entscheidungsgrundlage der Landwirte müsste eine Tektur freilich erst einmal ausgearbeitet werden. Aber alleine schon die Option mischt die Hochwasserschutzkarten im Grafinger Westen komplett neu.

"Diese vorgeschlagenen Renaturierungen würden einen so großen Eingriff ins Eigentumsrecht der Landwirte darstellen, dass sie ohne deren Zustimmung gänzlich undenkbar wären", ordnet Bauamtsleiter Josef Niedermaier im Gespräch mit der SZ ein. Derart undenkbar, dass sich vorher noch niemand sonderlich mit der Option beschäftigte. Stattdessen entschied sich der Stadtrat für die großen, flachen Rückhaltebecken und das Planfeststellungsverfahren. Schlicht, weil er das Gremium in diesem Weg die größten Erfolgsaussichten sah.

Mit der Tektur, die Niedermaier und Kollegen nun ausarbeiten, fallen die Becken zwar nicht sonderlich kleiner aus. Die Frequenz der Überflutungen wäre aber geringer. "Schon für die statistischen zwei- und fünfjährigen Hochwasser ist die Aufstaufläche mit den bisherigen Planungen relativ breit", erklärt Niedermaier. Genau das ist der Punkt, der die Landwirte stört. Sie befürchten, ihre Wiesen viel zu oft viel zu lange nicht mehr nutzen zu können. Eine tiefergelegte und dahinmäandernde Urtel, so das Kalkül, würde die Aufstauflächen der vergleichsweise häufigen Hochwasser deutlich reduzieren. Ein Teil des Stauwasservolumens würde einfach in der tiefergelegten Urtel verschwinden. Offenbar sind die Landwirte im Gegenzug bereit, auf etwas landwirtschaftliche Nutzfläche zu verzichten.

Was die Tektur für die Zeitachse des Großprojekts rund um die beiden Rückhaltebecken bedeutet, ist derzeit kaum abschätzbar. Zuerst einmal dürfte die Überplanung einiges an Zeit kosten. Dann müsse sie durch die städtischen Gremien. Die Untere Naturschutzbehörde im Landratsamt dürfte auch ein gewichtiges Wörtchen mitreden wollen. Für eine tiefergelegte Urtel müssten weite Teile des derzeitigen Ökosystems weggebaggert werden. Erst im nächsten Schritt würde es - dann allerdings deutlich hochwertiger - wieder aufgebaut. Genauso scheint denkbar, dass der Alternativplan auf dem Weg zum Hochwasserschutz wie eine Abkürzung wirkt. Bis der Planfeststellungsbeschluss für die ursprüngliche Vorgehensweise aufgestellt ist, braucht es noch Jahre. Weitere würden ins Land gehen, bis über die bereits angekündigten Klagen gegen den Beschluss entschieden ist. Zeit, in der sich auch beim großen Rest des Grafinger Hochwasserschutzkonzepts nicht viel bewegen dürfte.

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SZ vom 29.04.2021
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