Süddeutsche Zeitung

Innenstadtentwicklung:"Geschätzt bekommen wir zu 99 Prozent positive Rückmeldungen"

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Über die mangelnde Attraktivität des Grafinger Zentrums ließ sich oft trefflich klagen: verklebte Schaufenster, Dienstleister, die an die Stelle alteingesessener Einzelhändler rücken. Nun zeigt ein Unternehmer-Trio, dass es auch anders geht. Besuch in einem Bücherparadies mit Mehrwert.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Die Szene könnte sich auch in einer hippen Großstadt-Seitenstraße abspielen, zwischen Bio-Kosmetikgeschäft und einem für maßgefertigte Badmöbel zum Beispiel. Da wäre dann auf der einen Seite des Hauses ein schmuckes Café, wo man sich unter alten Türbögen den Macchiato holt, auf der anderen in der Buchhandlung was Spannendes zum Lesen raussucht und dann in den Samtstuhl sinkt. Die Szene spielt aber nicht im Glockenbachviertel oder Kollwitzkiez. Sondern am Nordwesteck vom Grafinger Marktplatz.

Seit knapp einem Jahr teilen sich dort im früheren Intersport-Kipfelsberger Back- und Schmökerstube die Hausnummer 4. Links die Filiale der "Bücher Herzog"-Familie, die fusionierte Nachfolgerin von "Bücherstube Slawik" und "Buchhandlung Breuer", bei der es auch noch alte Quittungsblocks, schier unzählige Pinsel oder Kugelschreiberminen gibt. Rechts daneben das Selbstbedienungscafé Hasi, Durchbruch durch jahrhundertealtes Mauerwerk inklusive.

Gesundheit, Wellness, Versicherungen - hier ist das Angebot mehr als üppig

Mal abgesehen vom Coworking und Gründerzentrum "Zamworking" war Grafings Marktplatz für innovative Innenstadtkonzepte zuletzt weniger bekannt. Eher fielen milchglasverklebte Schaufenster auf und kleine Einzelhändler, die - Stichwort geändertes Konsumverhalten - Platz machen mussten für den nächsten Dienstleister aus dem Nachfragedreieck von Gesundheit, Wellness und Versicherungen. Und über allem spielt seit 15 Jahren das Drama ums alte Schulhaus in der Rotter Straße 8, das die Stadt in unmittelbarer Marktplatznähe vor sich hinrotten lässt.

Der Mann, dem die Idee mit der Bücher-Back-Kombi kam, heißt Volker Wöhrle. Er ist Eigentümer der Hasi-Bäckereien und damit der größten Bäckerei-Kette im Landkreis. "Mir ist ein ähnliches Konzept - gemütliches Café plus gute Buchhandlung - vor einiger Zeit in Nürnberg aufgefallen", erzählt er. Dann, so geht die Kurzversion der Geschichte, zog die Buchhandlung "Herzog" von der Jahnstraße an den Marktplatz - und "der Hasi" mit ein. Kein Jahr später gehört das Duo zu den etablierten Treff- und Ruhepunkten am Marktplatz.

Ein bisschen Luxus, der bei den Leuten ankommt

"Einerseits freut mich das ungemein, andererseits wundert es mich gar nicht so sehr", sagt der Grafinger Architekt und Stadtrat Christian Einhellig. Mit seinem Talent, Stadtentwicklungsthemen auch für Nicht-Experten greifbar zu machen, hat er sich einen Namen gemacht in der Stadt. Zur Hasi-Herzog-Kombi sagt er: "Gemütlich sitzen, vielleicht was lesen und bisserl zur Ruhe kommen. Oder einfach auf den Marktplatz rausschauen und dem Treiben zuschauen. Beides ist ja schon auch eine Art von Luxus, die bei den Leuten gut ankommt." Und: "Damit unsere kleinen Innenstädte funktionieren, müssen wir sie als Gesellschaft schon auch annehmen." Der neue "Marktplatz 4" gehöre zu den vielen kleinen Magneten, die dafür nötig seien.

Die etwas längere Version der Geschichte begann mit Wöhrles Griff zum Telefon und einem Anruf bei Regina Sotta-Rothmoser, der Leiterin der "Herzog"-Filiale. "Ich fand die Idee sofort gut - und sie war dann auch ziemlich schnell in trockenen Tüchern", erinnert sich die Grafingerin. Auch für sie selbst eine spannende Zeit. "Seit ungefähr 50 Jahren arbeite ich als Buchhändlerin. Das ist schon toll, vor dem Ruhestand nochmal so etwas Neues mitanzupacken."

Der Bäckerei-Chef kommt selbst gern jeden Tag vorbei

Toll fand Wöhrles Idee auch die wahrscheinlich wichtigste Mitspielerin, die Grafinger Bauträger- und Investmentgesellschaft "K-Team" in Person von Adnan Krikor als Eigentümerin des Gebäudes. "Wir beide kennen uns schon lange und kommen gut miteinander klar", erzählt Wöhrle. "Das hat nicht lange gebraucht, bis wir alles geklärt hatten."

Zudem hat es nicht lange gebraucht, bis sich das schließlich im vergangenen Mai eröffnete neue Konzept herumsprach. "Geschätzt bekommen wir zu 99 Prozent positive Rückmeldungen", berichtet Sotta-Rothmoser. "Von der Resonanz bin ich wirklich überwältigt", sagt Ideengeber Wöhrle. "Ich hab' ehrliche Freude daran, hier einmal am Tag vorbeizuschauen."

Einhellig formuliert es so: "Der Mut, die Sache anzupacken, ist belohnt worden. Ich würde mir wünschen, dass dieses 'sich trauen' Vorbildcharakter hat, dass das kein Einzelfall bleibt." Ob das Risiko eines Umbaus aus Eigentümerperspektive nicht ein bisschen hoch sei? Für die Antwort dreht Einhellig die Perspektive einfach herum: "Ein Mieter, der für beinahe maßangefertigte Räumlichkeiten bezahlt, der kündigt auch nicht nach ein oder zwei Jahren wieder."

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