Süddeutsche Zeitung

Glosse:Die Leibwächterin mit dem silbernen Halsband

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Mit einem Hund an seiner Seite fühlt man sich auch bei nächtlichen Forstspaziergängen äußerst sicher. Bis sich eines Abends in der Dunkelheit ein großer Schatten auftut.

Glosse von Johanna Feckl

Spaziergang im Wald, auf einmal dackelt da eine Hündin neben einem her: Kling-kling-kling. Mit jedem Schritt klimpert das Halsband, ganz leicht nur und angenehm harmonisch, wie ein perfekt ausgeführter Begleitakkord. Nur manchmal bleibt die Hündin - kniehoch mit goldgelbem Rückenfell, weißem Bauch und ebenso weißen Pfoten, die puschelige Rute hin und her wedelnd, sobald sich die Blicke treffen - abrupt stehen. Ein einzelner Grashalm muss inspiziert werden, überaus gewissenhaft, fast schon penetrant. Es sind eben die kleinen Dinge, die eine große Leidenschaft entfachen können.

Das Besondere aber ist diese innere Stärke, die mit einer Hündin an der Seite entsteht, ja, ein behagliches Gefühl von Unbesiegbarkeit. Es ist doch schließlich so: Im Fall der Fälle ist da jetzt ein aufmerksames und treu ergebenes Tier, das mit einem furchteinflößend tiefem Bellen zwischen scharfen Reiß- und Fangzähnen überzeugt - eine Hündin als Leibwächterin. Spaziergänge bei Dunkelheit auf Wegen mitten durchs Nirgendwo, hohe Büsche und Bäume ringsum, alleine, nicht einmal mit einem Handy ausgestattet, nur die Hündin ist dabei. Ab sofort kein Problem mehr!

Es ist abends. Beinahe schon dunkel. Gut 100 Meter entfernt tauchen Umrisse auf, mit jedem Schritt werden sie schärfer. Anspannung kriecht den Rücken hinauf in den Nacken. Ein Blick nach links unten - zur Leibwächterin. Die schlägt Kurs auf einen besonders langen Grashalm ein. Hm. Der eigene Gang wird langsamer, der Herzschlag schneller. Nun sind es noch um die 50 Meter, der Statur nach zu urteilen ein stattlicher Mann. Das mulmige Gefühl wird stärker. Und die Leibwächterin? Die mit dem furchteinflößenden Bellen und den scharfen Zähnen für den Fall der Fälle? Zack! Mit einem Satz ist sie hinter einem verschwunden, nur der Kopf lugt an den Beinen vorbei dem Fremden entgegen.

So schnell zerplatzt die Utopie der Unbesiegbarkeit. Die Hündin ist ein Hasenfuß! Und nicht nur das: Sie benutzt einen als Schutzschild! Na toll. Bleibt wohl doch nur das harmonische Klimpern des Halsbandes als toller Nebeneffekt, von einem Tier begleitet zu werden. Ach, und eigentlich ist man auch gerne ein Schutzschild für dieses liebe Fiffilein - auch Menschen können ganz schön bellen, wenn sie wollen. Der Mann im Dunkeln war übrigens ein Spaziergänger, der gerne in der Ruhe der Dunkelheit unterwegs ist. Genau wie man selbst.

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Quelle:
SZ vom 10.06.2021
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