Süddeutsche Zeitung

Physiotherapie für Tiere:"Es gibt fast keinen Hund, der keine Probleme mit der Hüfte hat"

Lesezeit: 4 min

Ramona Stadler bietet Physiotherapie und Chiropraktik für Vierbeiner an. OP-Messer kommen bei der 33-Jährigen nie zum Einsatz, dafür aber viele andere, sanftere Heilmethoden.

Von Vera Koschinski, Forstinning

In dieser Forstinninger Praxis wird man mit einem aufgeregten Bellen und freudigem Schwanzwedeln empfangen. Husky Snowy und Schäferhundmischling Balou begrüßen den Besucher erwartungsvoll hinter einer schwarzen Pforte. Auch wenn in gewöhnlichen Arztpraxen eine solche Begrüßung viele Patienten vermutlich abschrecken würde: Bei "Pawmotion" wirkt sie vertrauenserweckend. Denn hier geht es um kranke Vierbeiner, Hündin Snowy und Rüde Balou gehören der auf Tiere spezialisierten Physiotherapeutin und Chiropraktikerin Ramona Stadler.

Als Tochter einer Hundetrainerin habe sie sich bereits als Jugendliche vor allem für Tiermedizin interessiert, erzählt Stadler. Früh habe sie dadurch ein Gespür für das Wohlergehen von Vierbeinern entwickeln können. Und als schließlich Balou an einer Schilddrüsenunterfunktion erkrankte und sich bei Snowy erste Anzeichen einer Hüftgelenksdysplasie abzeichneten, habe sie sich gezwungenermaßen tiefgehender mit der Materie beschäftigen müssen. Zumal die Ursache für das schleifende, instabile Gangbild des Huskys selbst nach zahlreichen Arztbesuchen ungeklärt blieb. "Man versicherte mir damals, dass meine Hündin gesund sei", erzählt Stadler.

Bei Snowy destabilisiert ein Hohlraum zwischen den Hüftknochen den Gang

Schließlich aber sei sie auf einen Tierarzt gestoßen, der mithilfe der entsprechenden Röntgenausstattung einen Hohlraum zwischen den lockeren Hüftknochen feststellen konnte. Deshalb war es der Hündin nicht möglich gewesen, eine den Gang stabilisierende Muskulatur aufzubauen. Ramona Stadler verzichtete jedoch auf eine Operation und begann gezielt, die Gelenkfehlstellung ihrer Hündin durch eine muskelaufbauende Physiotherapie zu korrigieren - und das erfolgreich.

Unter anderem, weil sie dem Spritzen, dem Einschläfern von Tieren und dem bloßen Verabreichen schmerzlindernder Medikamente gegenüber abgeneigt ist, wandte sich die heute 33-Jährige also der Tierphysiotherapie zu. Ihre Ausbildung dauerte von Sommer 2018 bis April 2022. Über die Corona-Zeit baute Stadler sich eine Praxis in der Münchner Straße in Forstinning auf. Dort unterstützt sie nun die Heilungsprozesse vor allem von Hunden - ohne zu schneiden. Mittlerweile erfahre sie über ihre Kunden oft von überflüssigen operativen Eingriffen, deren Ursachen sich durch eine Physiotherapie effektiver heilen ließen, sagt Stadler. Sogar die Folgen eines Bänderrisses habe sie mithilfe einer Lasertherapie bereits erfolgreich behandeln können. "Denn der Laser dringt tiefer in das Gewebe ein und kann so durch die Reizarbeit an den Nervenbahnen den Heilungsprozess fördern."

"Ich bin ein Freund davon, die Schmerzstellen und ihre Ursachen mit den Händen zu ermitteln"

Ramona Stadler greift bei der Schmerzbehandlung auf verschiedene Arbeitsmethoden und Geräte zurück, von Massage über Wärme-, Kälte- und Bewegungstherapie bis hin zu Laser und Ultraschall. Auf der Grundlage einer Gangbild- und Bewegungsanalyse beurteile sie, welche Methoden am ehesten die Beschwerden ihrer tierischen Patienten lindern könnten. "Außerdem bin ich ein Freund davon, die Schmerzstellen und ihre Ursachen mit den Händen zu ermitteln." Abgesehen von den neuralgischen Punkten, betont sie, sei es aber wichtig, das Tier ganzheitlich zu betrachten. Denn ein lahmendes Vorderbein könne auf den ersten Blick genauso gut auf eine Fehlstellung der Hüfte wie auf ein Knieproblem hindeuten. Klassische Tierärzte aber würden solche Phänomene gerne übersehen und vorschnell zum OP-Messer greifen, so die Physiotherapeutin.

Bei der Wahl und Ausübung der Heilungsmethoden sei vor allem die individuelle Reaktion der Hunde auf ihre Schmerzen zu berücksichtigen, sagt Stadler. Denn auch in diesem Punkt seien die Hundecharaktere sehr unterschiedlich: "Während einige versuchen, Schmerzen möglichst lange zu kaschieren, gibt es auch solche, die sich auf drei Beine stellen, sobald ein Haar schief liegt." Darin würden die Haustiere sich von den Menschen nicht allzu sehr unterscheiden. Deswegen gehe sie bei ihren Therapiemethoden nur so weit, wie der jeweilige Patient sich wohl fühle. "Da reicht ein erschreckter Augenaufschlag bei der Massage" - dann wisse sie, dass diese für das Tier zu unangenehm sei.

"Wenn Frauchen oder Herrchen nicht mitmachen, dauert es dreimal so lang"

Fortgeführt werden sollte die Behandlung des Vierbeiners dann meist zu Hause: Stadler gibt den Besitzern selbständig durchzuführende Therapieübungen mit auf den Weg. Wie schnell der Heilungsprozess letzten Endes voranschreite, hänge deshalb hauptsächlich von der Eigenarbeit der Kunden ab. "Wenn Frauchen oder Herrchen nicht mitmachen, dauert es dreimal so lange", mahnt die 33-Jährige. Dabei könne eine schnelle Gesundung dem Kunden Geld wie Zeit ersparen und dem Tier weitere Schmerzen.

Apropos Kosten: Wegen der Krankheiten ihrer eigenen Hunde weiß Stadler, wie kostenaufwändig eine tierärztliche Untersuchung oder Behandlung sein kann. Deswegen versuche sie, ihren Kunden entgegenzukommen: "Ich muss zwar von dem Geld leben können, aber ich möchte nicht, dass Hundebesitzer zum Schaden des Tieres eine vielleicht uneffektivere Behandlung in Betracht ziehen, nur weil diese kostengünstiger ist. Das sind wir den Tieren schuldig, denn sie können selbst nichts gegen ihre Schmerzen unternehmen." Die Behandlungskosten bei Ramona Stadler bewegen sich in einem preislichen Rahmen von 65 bis 85 Euro pro Stunde, doch diese Kosten umfassen dann ein Komplettpaket. "Darin ist dann alles enthalten, was das Tier braucht." Zudem bietet die Praxis finanziell weniger starken Kunden eine Ratenzahlung an, auch ein umfangreicheres Trainingsprogramm für zu Hause ist möglich - um die Behandlungszeit bei Stadler selbst zu verkürzen.

Generell rät Ramona Stadler allen Hundebesitzern, sich so früh wie möglich an einen Tierarzt oder Physiotherapeuten zu wenden, denn bereits einige ihrer vierbeinigen Patienten wiesen Folgekrankheiten auf, die durch eine frühzeitige Behandlung hätten vermieden werden können. Entgegen der noch vorherrschenden Meinung müsse ein Hund auch nicht erst ausgewachsen sein, um beispielsweise eine Knochendysplasie diagnostizieren zu können, so Stadler. Deswegen spiele sie mit dem Gedanken, in Zukunft ein Therapieprogramm für Welpen zu entwickeln, um frühe Anzeichen möglicher Gesundheitsbeschwerden präventiv behandeln zu können.

Die gesundheitlichen Probleme ihrer eigenen Hündin Snowy nämlich seien kein Einzelfall. "Es gibt fast keinen Hund, der keine Probleme mit der Hüfte hat", sagt Ramona Stadler und schüttelt den Kopf. Fehlstellungen von Knochen oder körperliche Beschwerden beträfen nämlich nicht nur bestimmte Hunderassen oder Mischlinge, sondern seien meist ein individuelles, angeborenes Phänomen. Schon auf der Straße, beim Gassigehen, könne sie mit ihrem geschulten Auge bei den meisten Vierbeinern eine steife Haltung oder ein unnatürliches Wackeln des Hinterteils erkennen.

Snowy selbst bellt zum Abschied freudig, auch wenn ihre Hüfte dabei etwas schlenkert. Doch bei Ramona Stadler scheint die Hündin mit ihrer Krankheit in den besten Händen zu sein.

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