Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Zuspruch per E-Mail

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Überall wird der Kontakt zwischen Menschen eingeschränkt - auch dort, wo er besonders wichtig ist. Einblicke aus dem Ebersberger Reischlhof

Von Simon Groß, Ebersberg

Am letzten Wochenende, an dem es erlaubt war, kamen noch einmal viele Besucher vorbei. Obwohl Anke Möglinger bereits in der Woche zuvor darum gebeten hatte, dass nur noch enge Verwandte zu Besuch ins Pflegeheim kommen, um die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus zu reduzieren. Manche schauten vorbei, um ihren Lieben mitzuteilen, dass sie von nun an nicht mehr da sein werden. "So war das eigentlich nicht gedacht", sagt die Leiterin des evangelischen Pflegeheims im Reischlhof.

Seit fast zwei Wochen sind nun die Türen geschlossen und Besuche nur noch in dringenden Fällen erlaubt, wenn ein Bewohner unbedingt auf die Unterstützung von außen angewiesen ist oder im Sterben liegt, das hat sie den Angehörigen in einem Brief geschrieben. "Das ist auch schmerzhaft für uns. Ich leide da mit unseren Bewohnern und ihren Angehörigen ", sagt die 44-Jährige. Für die Bewohner des Heims ist es der einzige direkte Kontakt nach draußen, der jetzt wegfällt. Eine Wahl habe das Pflegeheim aber nicht, schließlich müsse man den Schutz der Bewohner garantieren - zumal die zur absoluten Hochrisikogruppe gehörten, wie die Leiterin der Einrichtung erklärt. Alle Bewohner sind älter als 85 Jahre und leiden unter Vorerkrankungen, mehr als 80 Prozent von ihnen sind dement und schwer pflegebedürftig. Trotzdem bekämen die Demenzerkrankten genauso viel mit wie gesunde Menschen. "Auf emotionaler Ebene sind sie oft sogar empfänglicher", so Möglinger. Sie erlebten die Realität in ihrer eigenen Welt, das heiße aber nicht, dass sie nichts erlebten. Um das Kontaktverbot so gut es geht abzumildern, hätten die Angehörigen die Durchwahl der jeweiligen Pflegestation, sodass sie die Bewohner per Telefon erreichen können. Außerdem helfen die Azubis, deren Schulblock ausgefallen ist, nun im Pflegeheim und gehen mit den Bewohnern zum Beispiel im Garten spazieren oder unterhalten sich mit ihnen.

48 Betten zählt das evangelische Pflegeheim, das zur Inneren Mission München gehört. Das Tochterunternehmen Hilfe im Alter hat insgesamt zehn Pflegeheime in München und im Umkreis. In der Zentrale in München treffe sich die Geschäftsführung planmäßig zweimal die Woche zum Krisenstab, momentan gebe es aber fast täglich Krisengespräche, so Möglinger. Und von dort gibt es auch die Vorgabe, infizierte Bewohner in ihrem Zimmer zu isolieren, statt sie ins Krankenhaus zu fahren. Damit hätten sie im Pflegeheim Erfahrung. "Das kennen wir schon von Grippe- und Durchfallerkrankungen", so Möglinger. Außerdem hätten sie für die medizinische Betreuung gute Hausärzte, die auch weiterhin ins Haus kommen würden. Prinzipiell sei der Anspruch des Pflegeheims, dass die Bewohner im Heim in einer vertrauten Umgebung sterben könnten - unabhängig von dem Coronavirus. Dass es irgendwann auch einen Coronafall im Ebersberger Heim geben werde, davon geht Möglinger aus, es sei nur eine Frage der Zeit.

Um das so lange wie möglich herauszuzögern seien die Hygienemaßnahmen seien verstärkt worden: Handläufe, Türklinken und Geländer werden jetzt öfter am Tag gereinigt als sonst. Die Mitarbeiter haben Anweisung bekommen soziale Kontakte außerhalb der Einrichtung zu vermeiden und bekommen eine Extraschulung zur Hygiene in der Pflege. "Es gibt in unserem Bereich aber leider nicht die Möglichkeit Home-Office zu machen", sagt Möglinger. Falls ein Mitarbeiter in Verdacht gerät, sich angesteckt zu haben, sei es umso wichtiger, dass er schnell getestet werden könne. Dabei hofft die gelernte Krankenschwester und Diplom-Pflegewirtin auf die Unterstützung der Behörden. Etwa 50 Mitarbeiter hat das Pflegeheim, ungefähr 35 davon arbeiten in der Pflege.

Mit den Angehörigen sei sie in regelmäßigem Kontakt, habe entweder persönlich mit ihnen gesprochen oder telefoniert. Inzwischen bekommen diejenigen, die das wollen, ein- bis zweimal die Woche ein kleines Update per E-Mail, mit Berichten, was die Bewohner so machen, und Fotos. Da sie mit 48 Betten eher zu den kleinen Einrichtungen gehörten, kenne sie die Bewohner und ihre Angehörigen gut, sagt die Heimleiterin. Bisher hätten alle mit Verständnis auf die Kontakteinschränkung reagiert. Viele hätten sehr herzliche Antworten auf ihre E-Mails geschickt und Grüße an ihre Lieben im Heim ausrichten lassen. Sobald es allerdings möglich sei, werde sie die Regelung wieder lockern. Die derzeitigen Maßnahmen seien für alle Beteiligten keine schöne Situation: "Eigentlich wollten wir noch ein schönes Maifest feiern, aber die Prognosen sehen wohl eher schlecht aus."

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Quelle:
SZ vom 26.03.2020
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