Süddeutsche Zeitung

Mobilität im Kreis Ebersberg:"Das Geld ist woanders auch gut angelegt"

Lesezeit: 4 min

Aus verschiedenen Gründen machen junge Menschen im Landkreis Ebersberg keinen Autoführerschein.

Von Simon Mühlbacher, Ebersberg

Das Auto gilt in Deutschland immer noch in weiten Kreisen als Symbol für Freiheit. Eine deutsche Automarke wirbt sogar mit der Freude am Fahren. Doch die hatte Johannes Kling, 21, nicht. Er fühlte sich beim Autofahren so, als ob ihm "etwas im Magen liegen würde". Deswegen hat er sich entschieden, keinen Autoführerschein zu machen - nach zehn Fahrstunden.

Johannes Kling studiert in Eichstätt Bildungs- und Erziehungswissenschaften, und kommt aus Geretsried. Eine, wie er sagt, eher ländliche Wohngegend. Seine Freunde und seine Familie haben alle den Autoführerschein. Also fängt auch Johannes Kling gegen Ende 2018 damit an. Auf die erste Fahrstunde freut er sich noch richtig. In den nächsten Fahrstunden merkt er immer mehr, dass er sich am Steuer unwohl fühlt. "Ich bin normalerweise sehr schwer aus der Ruhe zu bringen", sagt Johannes Kling, "aber beim Autofahren hatte ich immer so ein bisschen Unruhe im Bauch, wie wenn etwas nicht stimmt, man aber nicht weiß was."

Das Gefühl geht nicht weg. Johannes Kling hat keinen Spaß beim Autofahren. Anfang 2019 bricht er den Führerschein ab. Seitdem hat er keine Fahrstunden mehr genommen. Er macht auch keinen anderen Führerschein. "Letztendlich ist es bei mir wahrscheinlich an Zeit, Lust und Wohlbefinden gescheitert", sagt er. Mit seiner Entscheidung ist Johannes Kling zufrieden. Doch er befürchtet, dass er im Job größere Nachteile haben könnte, weil er eben keinen Autoführerschein hat.

Deswegen ist auch seine Bewerbung für ein Praktikum gefährdet: In der Stellenausschreibung steht, dass der Führerschein erwünscht ist. "Sollte es nur daran scheitern, wäre das schon sehr ärgerlich", sagt er. In eine Großstadt ziehen möchte er trotzdem nicht. Deswegen denkt er, dass er doch irgendwann einen Führerschein machen muss, wenn er ohne ihn größere Nachteile hat. Priorität hätte der Führerschein für ihn aber definitiv nicht. Das Geld sei woanders auch gut angelegt, sagt er und grinst.

Mit seiner Einstellung ist Johannes Kling nicht alleine. "Das Auto hat in der Gesellschaft an emotionaler Bedeutung verloren", sagt Matthias Gastel, Verkehrspolitiker der Grünen im Bundestag. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Mobilität junger Menschen. Das Auto sei zwar nach wie vor wichtig, aber nicht mehr so elementar wie früher.

Das zeigen auch die aktuellen Zahlen des Kraftfahrtbundesamts: Der Anteil der 17- bis 24-Jährigen, die einen Autoführerschein besitzen, ist im Vergleich zum Jahr 2017 um mehr als zehn Prozent geschrumpft - auf unter 60 Prozent. Schon zu Jahresbeginn 2020, vor der Pandemie. Besonders stark zeigt sich der Trend in den Großstädten. Aber auch in ländlicheren Gebieten möchten viele junge Menschen (noch) keinen Autoführerschein machen.

Wie auch die 17-jährige Clara Brombacher aus Zorneding. Sie ist Schülerin und engagiert sich in ihrer Freizeit für den Klimaschutz. Das Auto als Statussymbol gefällt ihr nicht. Die "tonnenschweren Blechhaufen" seien teuer, wartungsintensiv und ineffizient, weil sie meistens nicht voll besetzt fahren. Vor allem schädigten Autos die Umwelt, weil sie Schadstoffe und Treibhausgase ausstoßen. Es stört sie auch, dass Straßen und Parkplätze so viel Fläche verbrauchen. Dazu möchte sie nicht beitragen.

Deswegen war für Clara Brombacher schnell klar, dass sie keinen Autoführerschein machen möchte. Mobil ist sie sowieso: In Zorneding gibt es mehrere Buslinien und normalerweise fährt alle 20 Minuten eine S-Bahn nach München. Zum Bahnhof muss sie erst durch den ganzen Ort laufen, deswegen fährt sie die kürzeren Strecken mit dem Fahrrad. Sie fühlt sich so auch sicherer vor dem Coronavirus.

Johannes Kling fährt auch sehr viel mit dem Fahrrad. Bei seinen Eltern sitzt er selten im Auto - "einmal im Monat vielleicht". Denn die S-Bahnstrecke geht bis in den Nachbarort. Die Strecke dorthin radelt er. Wenn er von der Universität in Eichstätt nach Hause pendelt, nimmt er fast immer die öffentlichen Verkehrsmittel. Mit der Maskenpflicht in Bus und Bahn fühlt er sich auch in der Pandemie sicher.

Die Pandemie ist auch ein Grund dafür, warum Bastian Wagner aus Ebersberg seinen Führerschein noch nicht hat. Der 21-Jährige hat ihn schon vor dem ersten Lockdown abgebrochen und seitdem auch nicht mehr weitergemacht. Bis jetzt ist der Führerschein immer an seinen flexiblen Arbeitszeiten gescheitert. Denn Bastian Wagner arbeitet als Veranstaltungstechniker und zwar immer so lange, bis die Technik auch wirklich funktioniert.

Das kann auch mal bis zehn Uhr abends dauern. Fixe Termine wie Fahrstunden oder Prüfungszeiten kann er deswegen nicht immer einhalten. Den Führerschein will er aber schon irgendwann machen. Die Pandemie sorgt dafür, dass er bis heute nicht wieder mit dem Führerschein anfängt. Selbst als die Fahrschulen wieder öffnen durften. Denn Bastian Wagner hat Asthma. Damit ist er anfälliger für einen schweren Corona-Verlauf. Deswegen ist es Bastian Wagner "zu heikel, auf engstem Raum mit einem Fahrlehrer zu sitzen, der den ganzen Tag mit verschiedenen Leuten unterwegs ist".

Er hat Angst, sich mit Corona anzustecken. Mit Maske fällt ihm auch das Atmen schwerer. Außerdem müsste er sich nun auch für Theoriestunden im Voraus anmelden. In seinem Job kaum möglich. Nach seiner zweiten Coronaimpfung möchte er es aber im Herbst wieder probieren. Dann ist es in seinem Job ruhiger.

Dass er dann direkt mit dem Führerschein anfangen kann, ist aber unwahrscheinlich, denn die Wartelisten in den Fahrschulen sind lang. "Es ist alles sehr viel zeitintensiver geworden", erklärt Fahrlehrer Mike Kliese aus Ebersberg. "Durch Corona können wir nur ein sehr geringe Personenanzahl in der Theorie ausbilden. Deswegen geben wir jetzt schon die Termine für Mitte Januar aus." Durch die Pandemie gibt es außerdem auch deutlich weniger Prüfungsplätze. Mike Kliese geht davon aus, dass Führerscheinanwärter nun deutlich mehr Zeit einplanen müssen: Ein bis eineinhalb Jahre statt bisher vier bis sechs Monate. Das zeigt sich auch in den Statistiken des Kraftfahrbundesamts. Im Corona-Jahr 2020 hat die Altersgruppe der 17- bis 24-Jährigen fast 20 Prozent weniger Führerscheine erworben als im Vorjahr.

"Wie sich die Coronapandemie längerfristig auf die Führerscheinzahlen auswirkt, ist noch schwer einzuschätzen", sagt Verkehrspolitiker Matthias Gastel. Grundsätzlich halte der Trend zu Abitur und Studium in Deutschland an. Viele junge Menschen mit begrenztem Budget würden eher ihr Studium oder ihre Wohnung finanzieren, als früh den Führerschein zu machen. Er erwartet, dass die Zahlen auf relativ niedrigem Niveau bleiben oder noch weiter sinken.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2021
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