Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Tatort Region, Folge 13:Grausamer Doppelmord in Ebersberg vor 99 Jahren

Lesezeit: 4 min

1920 wurden Katharina und Joseph H. in ihrem Haus in Ebersberg getötet. Der Täter schlug brachial mit einem Beil auf ihre Köpfe ein und wurde nie gefasst. Wer hat den Mord begangen?

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Letztlich wusste niemand, wer im Jahr 1920 die Bauersleute Katharina und Joseph H. mit einem Beil in ihrem Haus in Ebersberg östlich von München getötet hatte. Vor knapp hundert Jahren aber reichten die Verletzungen in den Gesichtern der Eheleute - solch schwere, dass die Opfer kaum mehr zu erkennen waren - für Spekulationen, die aus heutiger Sicht abenteuerlich anmuten:

Wegen der "furchtbaren Wunden möchte man nur an die Tat eines Mannes glauben", so die Ermittlungsakten. Berücksichtige man aber, dass mit der Schneideseite des Beils zugeschlagen wurde und dass vor allem Joseph H.s Kopf bestialisch zugerichtet war, "so steigt in einem das Gefühl auf, daß hier ein hysterisches Weib seine Hand im Spiel gehabt haben kann". Bis heute ist nicht geklärt, wer diese grausame Tat begangen hat.

Im Jahr 1920 lebten in Ebersberg knapp 3000 Menschen - damals eine übersichtliche und beschauliche Marktgemeinde. Die Milch stand nicht im Supermarktregal, sondern in einem Kübel auf dem Hof des nächsten Bauern, abfüllbereit für das eigene "Millibitscherl". Am Morgen des 1. Oktober 1920 wollte die Tochter des Nachbarn von Katharina und Joseph H. wie jeden Tag frische Milch bei dem Bauernehepaar holen.

Die 22-jährige Frau fand aber weder die Milch noch die Eheleute vor, wie aus den Ermittlungsberichten hervorgeht. Lediglich zwei Akten im Staatsarchiv München sind an Berichten von dem Fall vor 99 Jahren geblieben: eine vom ehemaligen Bezirksamt Ebersberg, ungefähr zehn Zentimeter dick, und die andere von der Polizeidirektion München, von außen so dünn, dass sie genauso gut leer sein könnte.

Durchs Schlüsselloch ist ein blutbefleckter Schenkel zu erkennen

Was die junge Frau auf dem Hof der H.s statt Frischmilch vorfand, waren die weit geöffnete Haustüre, die zugezogenen Fenstervorhänge und das dreckige Geschirr in der Küche. Das Schlafzimmer des Ehepaars jedoch war verschlossen. Ein Blick durch das Schlüsselloch offenbarte der Nachbarstochter "den blutbefleckten Schenkel eines menschlichen Körpers", so ist es in den Akten dokumentiert.

Die Polizei brach schließlich die Türe zum Schlafzimmer auf - der dazugehörige Schlüssel wurde nie gefunden - und der Anblick, der sich den Beamten bot, war schrecklich: Joseph H. lag im Bett, tot. Seine Frau lag ebenso leblos auf dem Boden, Oberkörper und Kopf unter dem Bett. Neben ihr ein "blutbesudeltes Handbeil", so der "Tatstandsbericht" vom 2. Oktober. "Ich habe in meiner langjährigen Praxis keine so furchtbaren Verletzungen gesehen", schrieb der zuständige Kommissar.

Bei Joseph H. nahmen die Ermittler an, dass er wohl im Schlaf überfallen worden war. Die Verletzungen an seinem Schädel waren unsäglich, in dem Polizeibericht ist von "völlig zertrümmert und zerhackt" die Rede. Als die Beamten den 67-Jährigen fanden, waren sein Kopf und Oberkörper unter einer Decke verborgen. Der bis zum Bauch hochgerutschte Schlafrock von Katharina H. ließ die Polizei zunächst vermuten, dass dort auch ein sexuelles Verbrechen vorlag. Die gerichtsmedizinische Untersuchung konnte diesen Verdacht aber nicht bestätigen. Mit Schlägen eines Beiles vor allem gegen die Köpfe der Eheleute wurden beide getötet. Bei der 55-jährigen Frau waren es 14 Hiebe.

Die grausame Entdeckung stellte die Ermittler vor große Herausforderungen. Keine Spur deutete darauf hin, dass jemand gewaltsam in das Haus eingedrungen war. Alle Fenster waren entweder geschlossen, vergittert oder nur per Leiter zu erreichen - eine solche wurde aber nirgends gefunden. "Aus den ganzen Umständen muß angenommen werden, daß der Täter im Hause bekannt war", lautete die Schlussfolgerung der Polizei. Ob es sich um einen oder vielleicht doch mehrere Täter handelte, war ungewiss.

Zwei "schlecht gekleidete ungefähr 24 Jahre alte Männer"

In der Ermittlungsakte ist auch die Rede davon, dass die Eheleute Geld im Haus versteckten, welches nun verschwunden war. Unklar blieb, wie viel es war. Für die Ermittler lautete Raub deshalb das plausibelste Motiv. Nachdem ein Polizeihund an der Mordwaffe geschnuppert hatte, führte ihn eine Spur zum Ebersberger Aussichtsturm, einige hundert Meter entfernt vom Tatort. Dort verlor sich die Fährte.

Dennoch spielt der Turm in dem Fall eine wichtige Rolle: Als die Polizei am Tatort eintraf, erzählte ihnen ein Junge, dass er dort zwei "schlecht gekleidete ungefähr 24 Jahre alte Männer" gesehen habe, die Papiergeld zählten. Unabhängig von dieser Aussage wurden in einer Wirtschaft zwei Burschen beobachtet, wie sie Geld zählten und blutige Wäsche einpackten.

Die Polizei konnte sogar ermitteln, um wen es sich bei den Männern handelte. Die Verdächtigen hatten kein Alibi für die Tatnacht. Das aber war alles, was die Polizei mit Gewissheit sagen konnte - zu wenig für weitere Ermittlungen. Auch, als zehn Jahre später eine neue Zeugin dieselben Männer belastete, reichte das nicht aus.

In den Jahren nach dem Mord verfolgten die Ermittler weitere Spuren. Immer wieder tauchen in der Ermittlungsakte Protokolle auf, in denen Zeugen etwas zu wissen glaubten. Die Schwester von Katharina H. könnte es gewesen sein, denn das Verhältnis zu ihr sei schlecht gewesen. Oder ein Geschäftspartner, weil dieser mit blutbeflecktem Geld gezahlt haben soll. Oder ein Mann, den die Polizei wegen eines anderen Raubmordes überführt hat. Oder zwei Brüder, einer von ihnen ebenfalls ein Mörder. Oder die Eltern von Katharina H.s Schwiegersohn, weil die Frau "verschlagen und verlogen" sei. Die Liste der Menschen, die den Mord begangen haben sollen, ist lang. Die letzte dokumentierte Zeugenaussage stammt aus dem Jahr 1935 - 15 Jahre nach dem Mord. Gesicherte Beweise konnte keine dieser Aussagen liefern.

Bis heute ist nicht geklärt, wer für den Raubmord an Katharina und Joseph H. verantwortlich war. Knapp hundert Jahre nach der Tat gibt es bei der für Ebersberg zuständigen Kriminalpolizei in Erding keine Akten mehr zu dem Mord. Seit vielen Jahren sind sie im Staatsarchiv in München aufbewahrt. Ermittlungen gibt es in diesem Fall schon lange nicht mehr.

Alle Folgen der Serie "Tatort Region" finden Sie auch online unter sz.de/tatort.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2019
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