Süddeutsche Zeitung

EHC Klostersee:Der letzte Fahnenschwenker des EHC Klostersee

Lesezeit: 3 min

Krawallfans brachten den EHC in eine finanzielle Notlage - es folgte der Absturz in die unterste Liga. Trotzdem steht Armin Fichter nach wie vor bei jedem Heimspiel im Grafinger Eishockey-Stadion - seit 48 Jahren. Über einen Mann und seine Heimat.

Porträt von Viktoria Spinrad, Grafing

Der EHC hat gerade das 2:0 geschossen, als sich einer die riesige Fahne schnappt und in den Fanblock sprintet. Während die anderen Fans klatschen, ballt er die Faust und schwingt die Flagge über ihren Köpfen durch die Luft.

Mehr als 1000 Spiele hat der Mann mit dem freundlichen Gesicht unter der roten Fankappe in 48 Jahren hier miterlebt. Sein Eishockey-Verein, der EHC Klostersee aus Grafing, hat große Jahre hinter sich, spielte einst in der zweiten Liga, zuletzt lange in der dritten. Doch seit dem Zwangsabstieg vor eineinhalb Jahren in die sechste und unterste Liga ist die Spannung von früher dahin. Und dennoch steht Armin Fichter auch an diesem Freitag auf der Tribüne und analysiert Spielzüge. "Ich brauche das einfach", sagt er. Deswegen wird er auch im ersten Heimspiel der Finalrunde um den Aufstieg am Sonntag gegen Fürstenfeldbruck die Fahne schwenken. Um 17.30 Uhr geht es im Grafinger Eisstadion los.

Freitagabend, eines der letzten Vorrundenspiele in der Landesliga steht an. Pause in Grafing, nach dem ersten Drittel gegen Farchant führt der EHC 5:1. Fichter, Vereinsschal, Klubtrikot, steht mit seinem Bruder in einer Holzhütte am Spielfeldrand: dem Fanshop. Um den 54-Jährigen herum drängen sich vier Spezln, eine eingeschworene Gruppe, man kennt sich seit Jahrzehnten. Sie alle sind mit dem Eishockey großgeworden; spielten wie Fichter früher selbst. Der hat wie immer Tee mitgebracht, "gnua für alle", sagt er in breitem Bairisch. Wie viele schon für die nächste Auswärtsfahrt zugesagt haben?, fragt einer. Gerade noch hat Fichter herzhaft gelacht, jetzt verzieht er das Gesicht. Es reicht noch nicht für einen Bus.

Der Fanshop wirft an diesem Abend 62,50 Euro ab - für die EHC-Nachwuchsförderung

Der Fanshop der Fichters ist das Herz des Grafinger Fanlebens. Vereinstrikots, EHC-Wimpel und Sticker verhängen die Wände, Erinnerungen an Zeiten, als es in Grafing sportlich noch um was ging. Ein schwieriges Thema, Fichter schüttelt den Kopf. Früher, als sein Verein noch um den Aufstieg in die zweite Liga kämpfte, da organisierte er zwei bis drei Busse für Auswärtsfahrten; heute, in der fünften Liga, versucht er, genug Leute für einen zusammenzubekommen.

Das Spiel geht weiter, Fichter schaut zu den Fans unter der Anzeigetafel. Wie zwei Lager stehen sie da: Links die alte Fangarde in rot-weiß, rechts trommelnde Jugendliche. "Da standen sie damals, die Deppen", sagt Fichter leise. Er meint Hooligans, die sich im Frühjahr 2016 mit gegnerischen Fans prügelten, immer wieder kam es zu Ausschreitungen. So provozierten sogenannte Fans den Rückzug der wichtigsten Sponsoren des EHC. Ohne dieses Geld war die Oberliga nicht mehr finanzierbar, und so musste die prominenteste Sportmannschaft des Ebersberger Landkreises den Neuanfang in der sechsten und untersten Liga machen.

Der Fanshop muss sich an diesem Abend mit 62,50 Euro für die Nachwuchsförderung begnügen. Das einzige was noch spannend ist? Ob sie für die nächste Auswärtsfahrt einen Bus voll bekommen. Trotzdem: Fichter, der Kraftfahrer, der sich schon als Sechsjähriger ins Stadion schlich, wählt oft die Frühschicht, damit er am Abend den Fanshop seines Bruders vorbereiten kann. Damit er im Stadion stehen und die Fahne schwenken kann. Er, der in fünf Jahrzehnten Ansager, Zeitnehmer, Schiedsrichter und Ordner war - und der nun seit 22 Jahren den Fanklub leitet. Irgendwas treibt ihn immer noch an.

Gewusel im Shop, Bratwurstduft, zwei Männer unterhalten sich über das kommende Auswärtsspiel, ein anderer inspiziert die EHC-Flyer. "Wir sind alle infiziert", sagt Fichter, die Faszination des schnellen Sports, und dem was neben dem Eis dazu gehört. Wenn er mal ein Spiel verpasst? "Dann tut das weh", sagt er. Dann fehlt was, schließlich steht er hier, seit es das Stadion gibt. "Danny, fährst mit?", ruft Fichter. Ein Mann mit EHC-Mütze nickt ihm zu, Danny ist die Nummer 21 auf seiner Liste für die Auswärtsfahrt nach Miesbach. 30 bräuchte es für einen Bus.

In den Zweitligazeiten hatte der Fanklub bis zu 70 Mitglieder

Einst hatte der Fanklub 70 Mitglieder, jetzt sind es noch 24. Wie geht es weiter? Auf einer Ablage hat Fichter Spendenschecks für den Spieler-Nachwuchs gestapelt. "Wenn die Jungs was bekommen, freut mich das, sie sind die Zukunft", sagt Fichter und lächelt, dass sich Grübchen auf den Wangen bilden. Das Problem ist eher der Nachwuchs in der Grafinger Fanszene: Wenn die Männer auf dem EHC-Gelände Regenrinnen säubern und Wände streichen, "dann siehst von den jungen Fans leider selten jemanden", sagt Fichter und deutet zur der rechten Fanblockhälfte. Es steht 10:1. "Ihr-seid-nur-ein-Punktelieferant", singen sie unter der Anzeige, aber auch "Let's go Klostersee".

Fichter rückt seine Kappe zurecht, setzt sie ab und deutet auf seine Anstecker: Spuren eines Fanlebens, Erinnerungen an große Turniere, an ein Grillfest mit Deggendorfern, an zehn Ingolstädter, die nach ihrem Gastspiel bei ihm übernachteten. "Mit Kölner Fans zusammen trinken, das hätte es im Fußball nie gegeben", sagt er.

Schlusspfiff, der EHC gewinnt 11:1. Fichter stimmt leise in das Humba-Täterä der Fans ein. Dann rollt er die Fahne zusammen und folgt seinen Spezln ins Stüberl.

In der Aufstiegsrunde treten insgesamt acht Teams an 14 Spieltagen in Hin- und Rückspiel gegeneinander an. Zum ersten Heimspiel empfängt der EHC Klostersee am Sonntag, 21. Januar, den EV Fürstenfeldbruck. Beginn ist um 17.30 Uhr im Grafinger Eisstadion. Spätestens im letzten EHC-Heimspiel am 11. März entscheidet sich dann, welche drei Teams in die Bayernliga aufsteigen.

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Quelle:
SZ vom 20.01.2018
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