Süddeutsche Zeitung

Bühne:Guckst du, Shakespeare?

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Kirchseeoner Gymnasiasten bieten eine gelungene, sympathische Version von "Romeo und Julia"

Von Victor Sattler, Kirchseeon

Im ersten Teil der "Fack Ju Göhte"-Trilogie passiert ein kleines Wunder: Die kulturfremde Klasse 10 b spielt "Romeo und Julia". Das gelingt aber nur dank Lehrer Zeki Müller, der den Stoff in UV-Farben und weißes Drogenpulver tunkt, um ihn interessant zu machen. Das ist sicherlich ein cooler Weg, Schüler zu animieren, aber nicht der einzige.

Die jungen Regisseurinnen Angelika Giglinger und Gabriele Engl vom Gymnasium Kirchseeon zum Beispiel sind zum Glück gar nicht "cool". Statt auf waghalsige Inszenierung oder brisantes Tagesgeschehen verlassen sich die beiden am Donnerstagabend bei William Shakespeares "Romeo und Julia" lieber auf ihre jungen Darsteller - und die wiederum vertrauen, gestärkt durch so viel Rückhalt, ganz auf ihren großen Text. "Ein Verhängnis, welches noch verborgen in den Sternen" zieht dort alsbald zwischen den Zeilen auf: Der Zündstoff sind die Verwicklungen der Familienclans Montague und Capulet, die sich nicht ausstehen können, es aber auch nicht schaffen, sich im Verona des 14. Jahrhunderts aus dem Weg zu gehen. Verkompliziert wird das, indem Julia Capulet (Emma Eckert) sich plötzlich "getrieben fühlt, den ärgsten Feind mit größter Zärtlichkeit zu lieben", nämlich den jungen Romeo Montague (Marcel Scheitza).

Ein weiteres Verhängnis liegt nicht in den Sternen, sondern in den Fußnoten verborgen: August Wilhelm Schlegels Übersetzung des Originaltexts, die der Schülerproduktion als Grundlage diente, ist reich an Pathos, Sonett-Phrasen, Anspielungen und hyperbolischen Seufzern, die wirklich nur einem Verliebten in den Kopf kommen könnten. Der Tod und die Liebe sind für Schüler der Mittelstufe naturgemäß - und auch für manch Erwachsenen noch - recht abstrakte Konzepte. Deshalb werden "Tod" und "Liebe" von Lara Kunkel und Isa Siebenlist auf einer Metaebene personifiziert, als aufklappende Infokästchen, die erklären, was passiert, wenn Julia denn nun den Kräutergeist trinkt (schlimme Dinge). In diesen beiden tänzelnden Marionettenspielern haben Engl und Giglinger den Figuren ein Engel- und Teufelchen auf die Schultern gesetzt: Zwei, die Romeo und Julia mal ins Gewissen reden oder sie mit bösen Zungen verführen können.

Noch wichtiger sind für das Textverständnis aber die Schauspieler. Nach neun Monaten Proben, in denen die Schüler oft auf Antworten brannten, wissen nun alle ganz genau, was sie da sagen. Vor allem Emma Eckert und Marcel Scheitza, aber auch bunte Nebenfiguren wie die Amme (Fiona Linke) artikulieren klug und sorgfältig, spielen mit großem Rollenbewusstsein und viel Bühnenpräsenz.

Sich selbst nehmen sie dabei nie zu ernst, diese Theatergruppe kennt keine Schmerzgrenze. Da darf es mal platt, mal ironisch zugehen, geheiratet wird zur Titelmelodie aus "Titanic" und zu den Dire Straits wirft das Paar das Bettlaken über sich hoch. Klassiker wollen die Schüler spielen - aber wie? Ganz ohne "Fack", ohne gegen den Autor aufzumucken, lautet die Devise hier: Guckst du, Shakespeare? So cool löst die Theatergruppe jeden Schamreflex, mit dem ein befangener Zuschauer vielleicht in ein Stück kommt, in dem 14-Jährige sich zuerst mit ewiger Liebe, dann mit Suiziden gegenseitig überbieten. Denn gerne wird vergessen: Älter als 14 ist die halbhistorische Figur der Julia auch nicht.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2017
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