Süddeutsche Zeitung

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 9:Die Intimsphäre der Patienten

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Das Waschen von Patienten gehört im Pflegeberuf zum Alltag. Julia Rettenberger über schwierige Momente - und wie sie diese löst.

Protokoll: Johanna Feckl

Es gibt eine Tätigkeit, die jedem unserer Patienten zwei Mal am Tag zusteht: Waschen. Morgens eine große Versorgung des gesamten Körpers, abends eine Teilversorgung, also Gesicht, Achseln und Intimbereich. Nun ist es aber nicht so, dass ich ins Zimmer hineinpoltere, ein "Hallo Frau Mayer, ich versorge Sie jetzt" rufe und - zack! - Decke weg, die Patientin liegt da nackig, ich ziehe meinen Waschlappen hervor und lege los.

Wenn ich das Patientenzimmer betrete, schließe ich hinter mir die Türe zum Gang. Bevor ich mit dem eigentlichen Waschen beginne, ziehe ich den Vorhang zum Zimmernachbarn zu und erkläre dann jeden meiner Schritte. Ich beginne am Kopf: Mund, Nase, Augenpflege. Am Hals angelangt, entkleide ich den Patienten Schritt für Schritt - erst den linken Arm, dann bedecke ich ihn wieder und der rechte Arm kommt dran.

Es gilt immer das Prinzip: Die Körperteile, die ich gerade nicht versorge, werden angekleidet. Zähneputzen ist übrigens ein ganz wichtiger Aspekt, denn viele unserer Patienten sind invasiv beatmet, dabei erleichtert ein Schlauch im Hals das Atmen. Wenn der Mundraum nicht gepflegt ist, dann können Keime - und im Mund gibt es unglaublich viele davon - über den Schlauch in die Lunge geraten und eine Lungenentzündung verursachen.

Mittlerweile waschen wir kaum mehr mit Waschschüssel und Waschlappen, sondern mit Einmal-Waschlappen. Die zieht man wie Abschminktücher aus einer Packung, für jedes Körperteil gibt es einen neuen Lappen. Klar ist das aus ökologischer Sicht nicht toll, aber seitdem wir die Einmal-Waschlappen verwenden, haben unsere Patienten keine entzündeten Stellen mehr durch aufeinanderliegende Hautflächen.

Als ich eines Morgens bei einer Patientin mit dieser Waschroutine fertig war, rief ihr Zimmernachbar nach mir. Er musste auf die Toilette - unsere Zimmer auf der Intensivstation haben kein Bad. Es gibt eines auf dem Flur, aber die meisten unserer Patienten können das nicht benutzen, das wäre zu gefährlich. So war es auch in diesem Fall. Also: Toilettenstuhl holen und ihn so stellen, dass er von der Türe aus nicht so sehr einsehbar ist, Vorhang zur Zimmerkollegin zuziehen, Jalousien runter, Fenster kippen, Patienten auf den Stuhl setzen, Klingel daneben und den Raum verlassen.

Das sind Momente, in denen jeder Mensch Ruhe braucht. Und die bekommen sie auch auf der Intensivstation. Nach einer Weile habe ich dann vorsichtig geklopft und gefragt, ob er schon fertig ist. Und die Zimmernachbarin? Ach, es gibt ja immerhin diesen einen Vorteil, wenn man invasiv beatmet ist: Die Nase ist ausgeschaltet, riechen ist da nicht. Alles halb so wild.

Julia Rettenberger ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 27-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte finden Sie unter sueddeutsche.de/thema/Auf_Station.

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Quelle:
SZ vom 05.07.2021
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