Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Zu viele Schicksalsschläge

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Ein Herzinfarkt, zwei Schlaganfälle und der Verlust seiner Arbeitsstelle machen es einem 52-Jährigen schwer, nicht am Leben zu verzweifeln. Dabei ist sein größter Wusch nur: etwas Normalität.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

"Heute ist ein guter Tag." Dieser Satz ist das erste, was Johann-Peter B. (Name geändert) ins Mikro des Laptops hinein sagt, das seine Betreuerin von den Sozialpsychiatrischen Diensten Ebersberg vor ihm aufgebaut hat. Die Entwicklung der Corona-Zahlen legt ein virtuelles Treffen nahe - dabei sind es gerade Menschen wie B., die unter den Kontaktbeschränkungen besonders leiden. "Die Leute werden immer verbissener", sagt der 52-Jährige und hält beide Hände neben sein Gesicht, um Scheuklappen zu simulieren. "Sie sehen niemanden mehr."

Eine neue Wohnung mit etwas mehr Licht? Momentan meilenweit entfernt

Vielleicht hat er Recht, ganz sicher aber hat B. höchst sensible Antennen. Er lebt allein in einer kleinen Wohnung im Keller unter einem Geschäft, ein Lichtschacht ist sein Fenster nach draußen - schon das wäre womöglich Grund genug für seine Depressionen, es ist ein ständiger Kampf, den er gegen sie führt. "Ich brauche eine andere Wohnung, wo ich feststellen kann, was für eine Tageszeit wir haben." Von der Erfüllung dieses dringenden Wunsches ist B. bei den derzeitigen Mietpreisen und noch dazu ohne Arbeit aber meilenweit entfernt. Doch wenn die Sonne scheint, so wie am Nachmittag dieses Gesprächs, dann geht es ihm besser, dann fällt es ihm leichter, rauszugehen, um körperlich wieder fit zu werden, was er unbedingt will. Auch, dass er nun eine Betreuerin hat, die ihm hilft, mit den Behörden klar zu kommen, Anträge auszufüllen für Jobcenter, Rentenversicherung, Krankenkasse, habe seine Lage verbessert, erzählt er. Zuvor habe er nicht mehr gewusst, was er zuerst anpacken sollte. "Jetzt sind die Weinkrämpfe weniger geworden."

Nur wenn er weit von zu Hause weg ist, kann er ein bisschen schlafen

Doch die Sorgen sind es gar nicht unbedingt. Das Schlimmste sei die Schlaflosigkeit, erzählt B. Dass er bis sieben Uhr in der Früh wach liegt, ist für ihn eher die Regel als die Ausnahme. Wenn der müde Körper endlich soweit sei, sich gegen das Kreisen der Gedanken durchzusetzen, fange oben über ihm der Betrieb an. Die Vermieter hätten ihm überdies vor einer Weile die Miete um ein Drittel erhöht, die Perioden, in denen die Heizung laufe und seinen Keller ausreichend erwärme, aber nicht verlängern wollen. Manchmal besuche er einen Freund in Ulm, "wenn ich dort bin, kann ich fast sowas wie schlafen." Dann, wenn er ein bisschen Abstand hat zu allem.

"Ich habe nie Alkohol zu Hause."

Dabei habe alles so gut für ihn angefangen im Landkreis Ebersberg. Seine Heimatstadt hat er verlassen, weil er dort, wie er erzählt, in einen Freundeskreis hineingerutscht sei, der ihm nicht gut getan habe. Alkohol und Drogen seien im Spiel gewesen, da habe er nicht mitmachen wollen. Johann-Peter B. ist vorgeprägt, was das Thema angeht, vom eigenen Vater. Er ist daran gestorben, da war B. gerade zwölf. "Ich habe nie Alkohol zu Hause", sagt er.

Der Betrieb, der ihn angestellt hatte, musste Konkurs anmelden

Aufgewachsen ist er gemeinsam mit seiner Schwester bei den Großeltern, die Eltern hatten sich früh getrennt. Er machte eine Ausbildung zum Industriemechaniker, eine Arbeit, die ihm immer Spaß gemacht habe, wie er erzählt. Ein Job war es auch, der ihn vor etlichen Jahren in den Landkreis führte, wo er zunächst bei einem Freund unterkam. Dann kam ein Herzinfarkt, wie aus dem Nichts, gefolgt von zwei Schlaganfällen, alles innerhalb von vier Jahren, auch die Depressionen, die nicht besser wurden, als er überdies noch seine Arbeit verlor. Der Betrieb, der ihn unbefristet angestellt hatte, musste Konkurs anmelden, während B. noch krank geschrieben war. "Es waren einfach zu viele Schläge in kurzer Zeit." Zu allem Überfluss wurde Diabetes bei ihm diagnostiziert und ein grüner Star, und schließlich kam auch noch die Sache mit dem Knie dazu, das operiert werden musste. Eine Reha folgte, ständige Krankengymnastik ist jetzt notwendig, erst seit ein paar Tagen darf B. ohne Krücken gehen. Aber es werde wohl noch drei bis vier Monate dauern, bis das Knie wieder voll belastbar sei, sagt er. Was ihn erneut zurückwirft auf seinem Weg in ein normales Leben.

Lesen kann er nicht mehr länger als 20 Minuten

Dabei sei sein wichtigstes Ziel, wieder arbeiten zu können, "ich will niemandem auf der Tasche liegen." Die Pumpe funktioniere jetzt wieder, scherzt er mit erstaunlich viel Humor. "Die Diabetes habe ich auch im Griff" - mit dem Abwiegen von Lebensmitteln, Kohlenhydrate-Zählen und allem, was dazu gehört. Gegen die Augenkrankheit muss er Tropfen nehmen und hoffen, dass sie sich nicht verschlimmert. Lesen kann er nur noch mit Brille, und auch nicht länger als 20 Minuten, auf einem Auge sieht er nur noch 50 Prozent, "bei ungünstigem Lichteinfall sehe ich dunkle Flecken." Das sei dann kein guter Tag für ihn.

"Es ist mir egal, was ich arbeite, Hauptsache, ich habe einen geregelten Tagesablauf."

Doch Johann-Peter B. bleibt zuversichtlich. "Ich bin mir sicher, dass ich schnell wieder eine Arbeit finde, sobald ich gesund bin." Er könne für einen Job auch umziehen, "und es ist mir egal, was ich arbeite, Hauptsache, ich habe einen geregelten Tagesablauf". Bis dahin aber muss er mit der derzeitigen Situation klarkommen, für große Ausgaben reicht die staatliche Unterstützung nicht, auf gar keinen Fall für eine neue Waschmaschine, die er so dringend bräuchte. Die ihn seinem Ziel ein Stückchen näher brächte, wieder ein funktionierendes Leben zu führen.

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