Süddeutsche Zeitung

Urteil in Ebersberg:Mitten ins Gesicht

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Ein 81-Jähriger muss zwei Jahre und drei Monate ins Gefängnis, weil er auf seinen Sohn geschossen hat.

Aus dem Gericht von Johanna Feckl, Ebersberg

Gegen Ende der beinahe dreistündigen Verhandlung reichte es Richterin Vera Hörauf: "Noch ein Wort und Sie haben ein Ordnungsgeld", sagte sie mit lauter Stimme an den Angeklagten gerichtet, der zum wiederholten Male die Sitzung vor dem Ebersberger Amtsgericht störte, indem er den Zeugen, der Staatsanwältin, dem Sachverständigen, dem Anwalt des Nebenklägers sowie der Richterin selbst ins Wort fiel. Der 81-Jährige aus dem östlichen Landkreis war angeklagt, weil er seinem Sohn mit einer Schreckschusspistole ins Gesicht geschossen und dann auf seine Enkel gezielt haben soll. Außerdem soll er mehrmals gegen einen Beschluss verstoßen haben, der auf dem Gewaltschutzgesetz beruhte, und ohne Absprache das Anwesen seines Sohnes betreten haben.

In der Wahrnehmung des Angeklagten hat sich der Vorfall mit der Schreckschusspistole im April 2020 anders zugetragen: Immer wieder habe sein Sohn, der als Nebenkläger auftrat, ihn bedroht, "ich bring dich um, dich erwisch ich schon noch". Am besagten Tag habe der 81-Jährige das Gartenhaus auf dem Anwesen des Sohnes betreten - damals lebte er in einer Wohnung bei ihm und dessen Familie. Aus Notwehr habe er mit der Pistole geschossen, aber nur einmal und ohne auf jemanden zu zielen. Und das sei auch nur mit einer Platzpatrone geschehen, "die macht ja nichts".

Nicht ganz, denn sein Sohn wurde mit Prellungen am Hals, einem Hämatom am Oberarm und einer Rauchgasvergiftung im Krankenhaus behandelt, dort musste er zunächst auch beatmet werden. Bis heute leidet er unter Schlafstörungen, "weil ich den Knall nicht mehr aus dem Kopf bekomme", wie er als Zeuge aussagte.

Unmittelbar nach dem Vorfall im April 2020 wies die hinzugerufene Polizei den 81-Jährigen in die Psychiatrie des Klinikums in Wasserburg ein. Als er diese nach sechs Wochen wieder verließ, sei er ein paar Mal kurz in seine frühere Wohnung, die er nicht mehr betreten durfte, gelangt, um frische Kleidung und andere Habseligkeiten zu holen. Seinem Sohn oder den Enkeln habe er aber nie etwas getan.

Anders sahen das die übrigen Beteiligten am Prozess - auch der Anwalt des Beschuldigten. Mehrere Videos, die die Familie des Sohnes anfertigte, zeigten den Angeklagten, wie er Familienangehörige immer wieder beleidigte, sie bedrohte und der Aufforderung, das Gartenhaus zu verlassen, nicht nachkam. Auch von dem eigentlichen Vorfall mit dem Schuss lag eine Aufnahme vor: Die Situation spielte sich vor der Gartenlaube ab und zwar genau so, wie es der Sohn schilderte - nicht in der Gartenlaube, wie es der Angeklagte behauptete.

Auch zwei Ton-Aufnahmen spielte Richterin Hörauf vor. Auf ihnen waren Notrufe zu hören, die von der Schwiegertochter des 81-Jährigen sowie vom Nachbarn des Sohnes nach dem Schuss abgesetzt wurden. Vor allem die Stimme der Frau klang von Angst gebeutelt, sie sprach extrem schnell mit sich überschlagender Stimme.

Ein Sachverständiger aus der Klinik in Wasserburg attestierte dem 81-Jährigen eine Anpassungsstörung, die sich vor allem auf die familiäre Situation bezog. Auf eine auffällige kognitive Beeinträchtigung, eine verminderte Intelligenz oder eine Suchtkrankheit, die eine Schuldfähigkeit in Frage stellen würden, gebe es keine Hinweise.

Mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten entsprach das Urteil der Forderung der Staatsanwältin. Richterin Hörauf begründete die verhängte Strafe unter anderem mit der Uneinsichtigkeit des Angeklagten. "Dieser Hass, der einem während der Verhandlung entgegenschlägt, ist wirklich unglaublich." Auch während der Urteilsbegründung konnte es der 81-Jährige nicht lassen und unterbrach Richterin Hörauf mehrfach, "is scho recht", sagte er. Eine hinzugerufene Justizbeamtin begleitete den Verurteilten aus dem Gerichtsgebäude.

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SZ vom 19.03.2021
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