Süddeutsche Zeitung

Am Vaterstettener Humboldt-Gymnasium:Dramatischer Ausnahmezustand

Lesezeit: 4 min

Die Theatertage der bayerischen Gymnasien finden erstmals im Landkreis statt. Am Sonntag wird Eröffnung gefeiert

Von Anja Blum

Eine junge Frau ganz in Rosa und auf Rollerblades, sie ruft: "Scheiße, ich bin ein Auto!" Diese Szene steht für ein Ereignis, das einige Vaterstettener Gymnasiasten später als die "prägendste Erfahrung" ihrer gesamten Schullaufbahn bezeichnen sollten. So zumindest erzählt es Susanne Asam, die Leiterin der Schauspielgruppe am Humboldt-Gymnasium. Sie nahm mit ihren Schützlingen vor zwei Jahren an den Theatertagen der bayerischen Gymnasien in Bamberg teil - und schwärmt heute noch in den höchsten Tönen davon. "Dieser Austausch, dieses Feedback, das war alles total interessant und aufregend", sagt Asam. "Denn da schauen halt nicht nur Eltern, Oma und Opa zu, die sowieso alles toll finden, sondern Menschen, die sich mit Schultheater auskennen und wohlwollend-kritisch sind."

Bei den Theatertagen dabei zu sein, ist eine große Auszeichnung: Gymnasien aus ganz Bayern bewerben sich jedes Jahr dafür, doch nur die etwa besten zehn Inszenierungen werden von einer elfköpfigen Jury ausgewählt. Die Veranstaltung an sich ist dann aber kein Wettbewerb, sondern bewusst als konkurrenzfreies Treffen, als Plattform konzipiert: Theater spielende Jugendliche wie Lehrende sollen dort durch Aufführungen, Begegnungen und Seminare Impulse und Inspiration erhalten.

Mit dem sozialkritischen Stück "Schau, da geht die Sonne unter" von Sibylle Berg hatten es die Vaterstettener vor zwei Jahren in die Auswahl geschafft - heuer sind sie wieder dabei. Allerdings nicht auf, sondern hinter der Bühne, denn das Humboldt-Gymnasium richtet die Theatertage 2019 aus. Damit findet das älteste Schultheaterfestival Deutschlands erstmals im Landkreis Ebersberg statt. Und für die Schule ist es die größte Veranstaltung seit ihrem Bestehen, wie Asams Kollege Tobias Baumgartner nicht ohne Stolz berichtet. Eröffnet wird sie am Sonntag, 21. Juli, danach wird an der Schule ein "dramatischer" Ausnahmezustand herrschen.

Eine "recht formlose" Bewerbung habe den Vaterstettenern diese Ehre eingebracht, erzählen die Initiatoren, denn wahrscheinlich gebe es nicht viele Schulen, die sich solch ein Mammutprojekt zutrauten. Die diesjährigen Veranstalter wissen mittlerweile ganz genau, wie viel Aufwand die Theatertage bedeuten: "Es hängt einfach an allem viel mehr dran, als man vorher denkt", sagt Baumgartner und lacht. Elf Lehrer und "unendlich viele Schüler" seien seit mindestens einem Jahr mit der Organisation beschäftigt, konkret heißt das etwa 130 Gymnasiasten, sie rekrutieren sich freilich aus dem Schultheater, aber auch aus sieben P-Seminaren. Diese kümmern sich jeweils um verschiedene Aspekte: vom Catering über die Bühnentechnik bis hin zu Öffentlichkeitsarbeit, Finanzen und die Gestaltung von Flyern und so weiter. Ein echter Praxistest für die Jugendlichen ist das - der jedoch leider keinen Raum lässt für eine eigene Theaterproduktion.

Und warum der ganze Aufwand? Weil die Vaterstettener an den vier Theatertagen jede Menge Besuch bekommen, insgesamt etwa 300 Personen, rund 200 davon werden sogar in den Klassenzimmern des Gymnasiums übernachten (der Rest der Schulfamilie ist in dieser Zeit auf Exkursionen). Neun Delegationen von anderen bayerischen Schulen werden erwartet, hinzu kommt externes Fachpublikum. Denn die Veranstaltungsreihe hat jede Menge zu bieten: erstens neun ausgewählte Schultheaterinszenierungen, zu denen auch die Öffentlichkeit eingeladen ist, zweitens ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Workshops für Schülerinnen und Schüler sowie Fortbildungen für Lehrer und obendrein jeden Abend ein "Theaterfest". Gerade diese seien als Möglichkeit für den persönlichen Austausch extrem wichtig, erklärt Susanne Asam. "Da werden die Inszenierungen nochmals intensiv diskutiert und oft langlebige Kontakte geknüpft." Welcher Geist durch die Theatertage in Vaterstetten wehen soll, macht das Gymnasium mit seinem Motto für das Rahmenprogramm deutlich: "Performing diversity". "Respekt und Toleranz gegenüber dem Anderssein ist uns generell ein großes Anliegen", sagt Susanne Asam, "und das passt auch ganz wunderbar zum Thema Theater." Nicht nur um Geschlechter gehe es hier, sondern um alle Facetten, um Hautfarbe, Religion, Herkunft. Das Logo der Theatertage zeigt denn auch den Humboldt-Pinguin in bunten Prismen.

Einen spannenden Einblick in die Welt des Schultheaters versprechen darüber hinaus die neun Inszenierungen: Den Anfang macht das Albert-Einstein-Gymnasium München mit der Eigenproduktion "Leonce", gefolgt vom Gymnasium Gars, dessen Stück "Gesellschaft Alpha" an Orwells "Animal Farm" angelehnt ist. Einen Klassiker, nämlich Büchners "Woyzeck", hat sich die Fachakademie für Sozialpädagogik in Bamberg vorgenommen, zeitgenössisch wird es mit "Léon und Louise" von Alex Capus in einer Inszenierung des Ernst-Mach-Gymnasiums aus Haar. Mit dem Mysterythriller "Das Gewächshaus" - sehr frei nach "Concord Floral" von Jordan Tannahill - will das Johann-Michael-Fischer-Gymnasium aus Burglengenfeld überzeugen. Gleich zwei Mal vertreten ist das Dientzenhofer-Gymnasium aus Bamberg: Sein Mittelstufentheater bringt Brechts "Arturo Ui" auf die Bühne, während der Profilkurs Theater frei nach Shakespeares "Othello" spielt. Das Pirckheimer-Gymnasium aus Nürnberg präsentiert von Horváths "Kasimir und Karoline" und zum Abschluss gibt das Gymnasium Olching den "Herr der Fliegen" frei nach Golding.

"Alle Inszenierungen liegen auf einem sehr hohen Niveau", sagt Asam, die die Stücke als Teil der Jury bereits begutachtet hat. "Die Auswahl ist uns aufgrund der vielen guten Bewerbungen wirklich schwer gefallen." Trotzdem möchte sie diese Erfahrung hinter den Kulissen der Theatertage keinesfalls missen, denn das Ringen um objektive Beurteilungen, die unterschiedlichen Perspektiven, die tief gehenden Diskussionen - all das sei sehr bereichernd gewesen.

Hinter der Veranstaltung steht die "Fördergemeinschaft für das Schultheater an den bayerischen Gymnasien", der der Fachverband "Theater am Gymnasium in Bayern", die Landeselternvereinigung und der Philologenverband angehören, unterstützt durch das bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Dessen Chef Michael Piazolo hat sich angekündigt, und als Schirmherrn konnten die Vaterstettener eine Koryphäe gewinnen, den Intendanten und Regisseur Christian Stückl, bekannt vom Münchner Volkstheater und den Passionsspielen in Oberammergau. Beide werden bei der Eröffnung an einem Podiumsgespräch teilnehmen. Kein Wunder also, dass in Vaterstetten die Erwartungen an die Theatertage mindestens so groß sind wie die Aufregung und die Vorfreude.

Theatertage der bayerischen Gymnasien in Vaterstetten, alle Aufführungen sind - soweit Plätze vorhanden - für die Öffentlichkeit zugänglich. Das gaze Programm gibt's online unter theatertage2019vaterstetten.com

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Quelle:
SZ vom 18.07.2019
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