Süddeutsche Zeitung

Münchner Amtsgericht:Lügen, Dessous und Videos "für den persönlichen Gebrauch"

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Per Ebay-Kleinanzeige sucht ein Münchner angeblich Unterwäsche-Models. Mindestens 32 Frauen ziehen sich vor der Webcam aus. Vor Gericht sagt ein Ermittler: Das sei nur die "Spitze des Eisbergs".

Von Susi Wimmer

Die große Karriere winkte per Ebay-Kleinanzeige: Es war jetzt nicht der hochdotierte Supercoup als Victoria's-Secret-Engel auf dem Laufsteg, aber immerhin ein Job als Produkttesterin für Unterwäsche. Mindestens 32 Frauen zogen sich vor ihrer Webcam - und vor Sebastian S. - aus, doch der Traum vom Unterwäsche-Model endete mit etlichen Strafanzeigen. Denn Sebastian S. war beileibe kein Model-Agent, er hatte auch keine Jobs zu vergeben, er fertigte die Videos von den teils komplett nackten Frauen "für den persönlichen Gebrauch", wie er jetzt vor dem Amtsgericht sagte.

Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, so lautet im Strafgesetzbuch der Paragraf 201a. Und laut Auffassung des Gerichts hat der 36-jährige Münchner den Lebensbereich von 32 Frauen verletzt. Man habe es lediglich mit "der Spitze des Eisbergs" zu tun, sagte ein Ermittler im Prozess.

Eine "hohe kriminelle Energie und Rückfallgeschwindigkeit" warf der Staatsanwalt dem Angeklagten vor. Denn Sebastian S. war erst im Juni 2019 wegen desselben Deliktes zu 90 Tagessätzen verurteilt worden. Genau drei Monate später machte er weiter, und zwar hochprofessionell. Via Kleinanzeigen bot er Model-Jobs an, und zwar unter dem Namen einer existierenden Firma. Er rief bei den Damen an, nannte sich "Herr Müller", gab sich sachlich und verschickte gefälschte Verträge. Allerdings waren diese gespickt mit Rechtschreibfehlern. Einer Dame aus Miesbach kam das merkwürdig vor, und auch die Tatsache, dass sie vor der Kamera ihre Unterwäsche hätte ausziehen sollen. Zweimal rief er die Frau an und bedrängte sie, schließlich ging sie zur Polizei.

Als die Beamten im September 2020 die Wohnung von S. durchsuchten, Handy und Laptops sicherstellten, gab sich der Münchner recht hilfsbereit. "Die Sachen, die Sie suchen, sind auf meinem Handy", sagte er den Polizisten. Dem Kripobeamten ist noch in Erinnerung, dass S. viel Zeit und Energie darauf verwendet habe, mit den Frauen zu chatten. "Teils ging das auch in Richtung Freundschaft."

Die Videos habe er "als Scherz oder Spiel" angesehen, sagt der Angeklagte

Ja, räumt der Angeklagte ein, er habe alle Taten begangen. Er erzählt von seinem geplatzten Traum, in den USA zu leben, von Trennungen und Jobs, die er immer schnell verloren habe. Er sei in Depressionen abgerutscht, habe viel getrunken und Marihuana geraucht. In diesen Momenten habe er die Videos "als Scherz oder Spiel" angesehen. Er habe ja niemanden gezwungen. "Und ich wollte Kontakt zu Menschen." Damals habe er gedacht, er habe niemandem geschadet. Erst seine jetzige Lebensgefährtin, eine Psychologie-Studentin, habe ihm erklärt, dass er die Frauen damit schädige. "Ich wollte mich bei allen entschuldigen, aber meine Anwältin meinte, eine Kontaktaufnahme sei der falsche Weg", sagt S.

Von Schwäbisch Gmünd über Berlin, Bottrop, Kalübbe oder Augsburg: Die geschädigten Frauen kommen aus ganz Deutschland. Mehr als 50 Fälle listete der Ermittler, am Ende blieben 32 Strafanzeigen übrig. "Allein für eine Tat ist eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren möglich", erklärte der Staatsanwalt. Für die "schäbige und perfide Weise" des Angeklagten forderte er eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung. Verteidigerin Claudia Wüllrich führte an, dass man durch sein Geständnis den Frauen eine Aussage vor Gericht erspart habe.

"Ohne Geständnis hätte ich keine Bewährung verhängen können", sagt die Richterin in ihrem Urteil. Sebastian S. wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, hat vier Jahre Bewährungszeit und muss eine ambulante Verhaltenstherapie beginnen. "Sie wissen nicht, wie Sie mit Frustration und Rückschlägen umgehen", sagt sie dem Angeklagten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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