Süddeutsche Zeitung

"Divestment":Geld und Moral

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Grüne fordern Ethik-Standards bei städtischen Investitionen

Von Heiner Effern und Tom Soyer

Aufstand gegen vergiftete Luft, Erhalt von Parks und Bäumen, weniger Müll - Umweltschutz hat viele Aspekte. Die Grünen im Rathaus wollen nun eine neue Form des ökologischen Handelns in München etablieren: den Kampf gegen ethisch oder ökologisch unsaubere Finanzanlagen. "Divestment" nennt sich die Idee, Geld aus Investitionen abzuziehen, die zur Naturzerstörung oder zum Klimawandel beitragen. Betroffen können zum Beispiel Fonds oder Unternehmen sein, die mit der Verbrennung von Kohle, Gas oder Erdöl ihre Gewinne erzielen. Weltweit werben Umweltorganisationen in der kommenden Woche für Divestment.

In München kommen am vergangenen Samstag rund 500 Menschen auf dem Königsplatz zum "Climate March" zusammen. Auf den Stufen der Propyläen tanzen Aktivisten in weißen Ganzkörperanzügen zu den Dub-Beats der Münchner Band Jamaram, direkt unter einem Transparent mit der Aufschrift "Wir schaffen ein Klima der Gerechtigkeit! Ende Gelände". Vor der Bühne tummeln sich junge Menschen. Aber auch Ingeborg, eine Ruheständlerin aus München, Typ gepflegte Dame, wirft ihre Arme begeistert zur Musik hoch. "Wenn schon eine Stadt wie München Probleme mit der Luftreinhaltung hat, dann ist jedes Sandkorn wichtig bei der Bewusstseinsarbeit", sagt sie. Und marschiert bei denen mit, die "dreckigen Geschäften" mit fossilen Energieträgern abschwören wollen. "München!", ruft einer ins Mikrofon - "Divest!", brüllt die Menge zurück.

Die Grünen haben schon vorab beantragt, dass sich die Stadt dieser Bewegung anschließen soll. "München hat es nicht nötig, Geld mit klimaschädlichen oder unethischen Geschäften zu verdienen. Ganz im Gegenteil: Gerade das wohlhabende München muss mit gutem Beispiel vorangehen und die Kriterien, nach denen die Stadt ihr Geld anlegt - Sicherheit, Liquidität und Rendite - um Nachhaltigkeit und Ethik erweitern", fordert Katrin Habenschaden, stellvertretende Fraktionschefin. Sie sagt, dass die Stadt Anlagen im Wert von etwa 200 Millionen Euro überprüfen und notfalls anders investieren solle. "Das wäre schon ein starker Hebel." Divestment werde weltweit von großen Institutionen praktiziert. Die Bundesregierung habe sogar ein Förderprogramm aufgelegt. Dafür solle sich die Stadt bewerben.

Stadtkämmerer Ernst Wolowicz, durch sein Amt eine Art Chefinvestor der Stadt, hält die Initiative der Grünen für mindestens überflüssig. Denke man diese Forderung konsequent weiter, müsse München aus seinen eigenen Stadtwerken aussteigen, sagt er. Diese verbrennen in ihrem Kraftwerk Nord nämlich bis heute Steinkohle, und Gas nützten sie ebenfalls.

Auch wenn man solche Gedanken ausblende, benötige die Stadt keine neuen ethischen Grundsätze, sagt der Kämmerer. Weil sie längst solche habe. München folge bei Anlagen in fremd-gemanagte Fonds den ESG-Richtlinien. Diese gäben klare ethische und soziale Bedingungen vor. Das führe zum Beispiel dazu, dass die Stadt keine Staatsanleihen der USA erwerbe, weil dort noch die Todesstrafe verhängt werde. Auch Konzerne wie der Rückversicherer Munich Re haben sich den ESG-Grundsätzen verpflichtet. Und die Kirchen legen ihr Geld ebenfalls nach strengen Kriterien an. Die Erzdiözese München und Freising hat eine Liste erarbeitet, in welche Branchen sie nicht investiert. Auf dieser stehen Unternehmen, die Tabak, Alkohol oder Waffen produzieren, aber auch Tierversuche und Genmanipulation sind Ausschlusskriterien. Daneben sind ausdrücklich Umweltaspekte bei der Beurteilung von Investitionen genannt.

Den Grünen geht die ESG-Richtlinie jedoch nicht weit genug. Diese verpflichte einen Investor zum Beispiel nur dazu, das am besten beurteilte Unternehmen einer Branche für eine Anlage auszuwählen, sagt Fraktionsvize Habenschaden. Auf diese Weise sei auch eine Anlage in Atomenergie korrekt. Darüber hinaus will ihre Fraktion die Stadt auch bei der drohenden Neuaufnahme von Schulden zur Nachhaltigkeit bewegen. Statt Kredite bei Banken zu zeichnen, solle der Kämmerer sogenannte Kommunalanleihen ausgeben, die für soziale oder umweltfreundliche Aufgaben genutzt werden müssten. Auch davon ist Wolowicz wenig begeistert. Der Aufwand sei extrem hoch, der Nutzen gering, das habe die Vergangenheit gezeigt. Und zu den jetzigen Konditionen finde sich kaum jemand, der sein Geld der Stadt zur Verfügung stelle.

Auf dem Königsplatz singt der Münchner Rapper Keno auf der Bühne, und seine 500 Zuhörer malen sich schon mal aus, was sein wird, wenn das mit dem Divestment nicht hinhauen sollte. Kenos Song heißt "Paradajz Lost".

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Quelle:
SZ vom 08.05.2017
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