Süddeutsche Zeitung

Premiere am Gärtnerplatztheater:Herrlich durchgeknallt

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Josef E. Köpplingers Inszenierung von Jacques Offenbachs Kriegssatire "Die Großherzogin von Gerolstein" glänzt mit großer Ensemblepower.

Von Klaus Kalchschmid

Lässig stolz präsentiert der Titelheld von Jacques-Louis Davids Ölgemälde-Schinken "Leonidas at Thermopylae" (1814) mit Säbel und Schild seine muskulöse splitternackte Männlichkeit: Wenn auch bereits mit allerlei verschieden großen Durchschüssen lädiert, prangt dieses Bild (Bühne: Johannes Leiacker) raumfüllend auf der Bühne des Gärtnerplatzes für Josef E. Köpplingers Inszenierung von Jacques Offenbachs "Die Großherzogin von Gerolstein", die kurz vor Corona im März 2020 an der Semperoper Dresden herauskam. Denn die "Dame" findet alles schmuck und sexy, was mit Militär zu tun hat, auch oder gerade wenn ihre Soldaten im Zwergstaat "Gerolstein" sehr unmännlich Balletteuse spielen beziehungsweise mal weniger oder ganz unbekleidet sind.

So der charmante, freche Fritz, den die Chefin im Schaumbad aufsucht und später den nur mit Handtuch um die Hüften Bekleideten handgreiflich bedrängt. Das ist eine wirklich komische Parade-Szene für den jungen, adretten lyrischen Tenor Matteo Ivan Rašić und seinen (Charakter-)Tenor-Kollegen Juan Carlos Falcón, der die Großherzogin wunderbar en travestie spielt und singt! Denn er/sie wurde von Maske und Kostüm (Alfred Mayerhofer) täuschend echt verkleidet und bleibt herrlich indigniert unterkühlt. In keinem Moment gibt er dem Affen Zucker, es sei denn, wenn's mal um ein paar schöne kerlige Spitzentöne geht. Zauberhaft Fritzens Braut, die Wanda von Julia Sturzlbaum. Ihr herzallerliebster Sopran überstrahlt alle halbseidene Männlichkeit mit großer Anmut.

Famos ist auch das Oktett junger Tänzer als Soldaten, die in der Choreografie von Adam Cooper eine herrliche Konstante bilden und solistisch wie im corps de ballet hinreißend agieren, denn - welch' schöne Utopie! - in "Gerolstein" will sich einfach kein echter Feind finden, gegen den man kämpfen könnte. Mit Giovanni Corrado als Soldat Rudi haben die Herren eine Art Vortänzer, der nicht nur virtuose, androgyne Anmut besitzt, sondern auch entzückende Selbstironie.

Das Personal der Großherzogin besteht allerdings aus groben Knallchargen in greller Ausstattung, denen Regisseur Josef E. Köpplinger und Thomas Pigor ("Zusatztexte") jede Menge Kalauer in XXL zumuten. Als da wären: Alexander Grassauer als dümmlicher, machtverliebter General Bumm, Sigrid Hauser als nicht minder herrschsüchtige Eurusine von Nepomukka sowie Gunnar Frietsch und Alexander Franzen als die Barone Puck und Grog. Zu allem Überfluss wird der kleine Inselstaat, der zur Ouvertüre in einer netten Powerpoint-Präsentation vorgestellt wird (Video: Raphael Kurig, Meike Ebert), von einer Schar Touristen unter Fremdenführerin Ulrike Dostal heimgesucht, die sich vor Beginn schon durch die Gänge des Theaters quetschte.

Über allem aber strahlt mit dem bestens gelaunten Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der agilen Leitung von Michael Balke Jacques Offenbachs hinreißend vitale, ironische Musik. Sie nimmt Verdi ebenso aufs Korn wie die deutsche Spieloper und unterläuft jede gesungene Aussage so untergründig anspielungsreich, wie die Szene andererseits den eindeutigen Klamauk in den Vordergrund rückt.

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