Süddeutsche Zeitung

"Depeche Mode" im Olympiastadion:Der Wehmut dunkler Glanz

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Traurige und wunderschöne Lieder - und eine immer spürbare Sehnsucht nach Bedeutung: Zu Besuch beim Konzert von "Depeche Mode" im Olympiastadion.

Egbert Tholl

Nach acht Liedern braucht Dave Gahan eine kleine Pause - wer würde ihm dies übelnehmen nach seiner Krebs-Operation vor wenigen Wochen, die er offensichtlich gut überstanden hat. Gahan also verschwindet im dunklen Hintergrund der Bühne, aus diesem hervor tritt Martin L. Gore. Er geht bis zum Ende des Stegs, der sich etwa zwölf Meter in die Arena des Olympiastadions schiebt. Steht dort ganz einsam-allein, im Licht eines Scheinwerfers, und singt "Jezebel" von der neuen CD ins aufkommende Dunkel der Nacht. Ein Lied der Sehnsucht.

Und weil Gores Lieder oft von Einsamkeit und Sehnsucht und den dunklen Urgründen der Liebe handeln und weil er, wie er da so weit entfernt von den ihn ganz sacht begleitenden Bandkollegen steht, genau diese Einsamkeit so schön verkörpert, singt er noch ein Lied. Eines, das zehn Jahre alt ist, "Home". Ein Lied, das davon kündet, dass einer ein Zuhause erlebt hat, mit einer Liebe, die ihm dennoch die Tränen in die Augen treibt. Ein trauriges, ein wunderschönes Lied.

Ekstatisches Soundgefrickel

Depeche Mode spielen im Olympiastadion. Und auch wenn vieles so ist wie bei den letzten Auftritten in München, jeweils in der Olympiahalle, so wird doch das Wesen dieser Band, vergrößert auf die Wahrnehmbarkeit von 60.000 Zuschauern, hier umso deutlicher erkennbar. Im Grunde laborierten Dave Gahan, Martin L. Gore und Andrew Fletcher stets an etwas Unmöglichen entlang: Nach unbeschwertem Synthiegeplänkel auf den beiden ersten Alben suchten sie alle Chiffren des Pop zu vermeiden, während sie sich gleichzeitig nach kommerziellem Erfolg sehnten - wozu macht man in diesem Geschäft sonst Musik?

Die Lösung war ein ekstatisches Soundgefrickel, bei welchem auf seinem Höhepunkt sogar herkömmliche Keyboards durch Sampler mit Industriegeräuschen ersetzt wurden; dennoch gingen Depeche Mode nie so weit wie beispielsweise Kraftwerk. Sie blieben, bei aller Vermeidung wiedererkennbarer Klangoberflächen, der Struktur nach Pop. Später übte Martin L. Gore ein wenig Gitarre - richtig gut kann er es immer noch nicht, aber das spielt keine Rolle. "Personal Jesus", der unmöglichste, auch weil euphorischste Blues aller Zeiten, ist inzwischen auch schon 20 Jahre alt.

So sehr Dave Gahan, vielleicht auch aus Freude über das ihm abermals, nach schon länger zurückliegenden, fast tödlichen Drogenexzessen, wiedergeschenkte Leben wie ein Derwisch mit dem Mikroständer tanzt, die Massen becirct und mit bloßem Oberkörper zwischen Schmerzensmann und Ekstatiker changiert, so sehr Gores Gitarre dem Recht der Zuhörer auf gut geführte Animation Rechnung trägt - der Beginn der Konzerts sagt alles über den Widerwillen dieser Band, sich dem gattungsüblichen Verhalten anzudienen.

Sie und ihre zwei Begleitmusiker kommen im Dunklen auf die Bühne geschlichen, irgendwo zirpt ein wenig Elektronik, ohne dass man daraus etwas wie Klang oder gar geformte Tonfolgen ableiten könnte, die Masse johlt - und die Musiker stehen herum, als müssten sie erst noch besprechen, weshalb sie überhaupt da sind. Dann folgt das einigermaßen verwertbare Material der neuen CD - "In chains", "Wrong" -, und ein Konzert von mehr als zwei Stunden beginnt, das nie den nahe liegenden Reflexen zur Erzeugung einer Masseneuphorie folgt, sondern, unterstützt von teils rätselhaft ironischen, teils kunstvoll die Band vergrößernden Videospielereien, sehr eigenwilligen Prämissen folgt.

Depeche Mode sehnen sich stets nach Bedeutung. Der hymnische Bariton Gahans allein überhöht schon jede Aussage. Ist diese banal, wird sie mit hybriden Klängen elektrifiziert; berührt sie die großen Themen der Menschheit, verkriecht sich die Musik in ein Schattenreich. In den schönsten Momenten - "Never let me down again", "Waiting for the night", "Fly on the windscreen" - verzaubert der dunkle Glanz einer tiefen Wehmut. Dieser macht auch jene Songs des neuen Albums vergessen, die so klingen wie die B-Seiten früherer Meisterwerke, von denen hier viele fehlen. Aber mit diesen zu entzücken wäre ja auch viel zu einfach gewesen.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2009/pfau
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