Süddeutsche Zeitung

Demonstration:"Wir haben Träume, deshalb sind wir nach Deutschland gekommen"

Lesezeit: 1 min

Von Melanie Staudinger und Jasmin Siebert

"Wir haben Träume", ruft Muhammed ins Megafon, "deshalb sind wir nach Deutschland gekommen". Er steht am Alten Botanischen Garten, gegenüber ist das Luisengymnasium. Für viele Münchner Familien ist es vollkommen normal, dass ihre Kinder Abitur machen, ein Studium absolvieren und dann einen guten Job finden. Bei vielen jungen Flüchtlingen wie Muhammed aus Ghana zum Beispiel, aber geht die Angst um, die Angst alles zu verlieren, was sie sich bisher aufgebaut haben in Deutschland.

Unter dem Motto "Miteinander füreinander" protestierten am Donnerstagnachmittag geflüchtete und deutsche Schüler gemeinsam mit fast allen Münchner Jugendverbänden gegen das Ausbildungs- und Arbeitsverbot für Flüchtlinge. Denn nichts anderes bedeute die besonders restriktive Auslegung des Integrationsgesetzes in Bayern.

Khoshdel, 19, Afghanistan

Mein Bruder und meine Schwester leben schon länger hier, ich kam vor zwei Jahren. In zwei Monaten mache ich den Mittelschulabschluss. Ich will eine Ausbildung machen, aber alle Betriebe sagen mir, dass ich nicht sicher sei und sie mich nicht nehmen können. Seit ich weiß, dass ich zurück soll, geht es mir schlecht, ich habe Schlafstörungen und mache eine Therapie.

Hama, 19, Irak

"Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll. Welcher Betrieb stellt denn einen Jungen ein, der keine Aufenthaltsgenehmigung hat? Ich würde gerne Mediengestalter werden. Ich bin immer in die Schule gegangen, hatte nie einen Fehltag und jetzt soll ich zurück nach Kurdistan. Das macht mich krank. Ich will in Deutschland bleiben und Teil der Gesellschaft werden."

Uri, 15, Deutschland

Ich bin auf dem Gymnasium und bei der Stadtschülervertretung. Auf meiner Schule sind leider keine Geflüchteten, doch durch ein Fotoprojekt kenne ich einige. Mit einem Jungen aus Afghanistan habe ich mich angefreundet. Er ist der Beste in seiner Klasse und möchte eine Ausbildung zum Krankenpfleger machen. Am liebsten würde er Chirurg werden, doch dafür müsste er das Abitur nachholen. Vor Kurzem hatte er seine Anhörung. Ich habe ihm per Whatsapp geschrieben: "Du packst das!"

Sami, 17, Afghanistan

Seit drei Monaten nehme ich Medikamente, weil ich sonst nicht schlafen kann. Meine Albträume sind weniger geworden, doch so wie früher wird es nie mehr. Bald werde ich 18. Ich werde verrückt, wenn ich daran denke, dass ich abgeschoben werden könnte. Mein größter Wunsch ist es, hier zu bleiben und weiter zu lernen. Ich habe ein Praktikum bei den Kammerspielen gemacht, bei Technik und Beleuchtung. Ich möchte Elektriker oder Fachinformatiker werden.

Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen halten Plakate in die Höhe. "Schule für alle ist eine Investition in die Zukunft", steht dort geschrieben. Oder: "Die Menschenwürde sollte unantastbar bleiben." 43500 Ausbildungsplätze in ganz Bayern seien 2016 unbesetzt geblieben, hat eine Gruppe auf ein Plakat gemalt. "Ausbildung statt Abschiebung" fordern andere. Unter den Demonstranten ist auch die SPD-Landtagsabgeordnete Isabell Zacharias. Erst gestern habe sie von dem Protestzug erfahren, der nahe des Hauptbahnhofs beginnt und vor der Ludwig-Maximilians-Universität endet, und schnell ein paar Termine abgesagt, um dabei sein zu können. "Bildung, Ausbildung und Arbeit sind Menschenrechte, die für alle gelten, auch für Geflüchtete", sagt sie. Umso mehr sei sie genervt von der uneinsichtigen Haltung der bayerischen CSU.

Die Idee zu der Demonstration hatte die Schülermitverwaltung der Berufsschule zur Berufsintegration an der Balanstraße. Mit dem Bündnis für junge Geflüchtete organisierte sie den Demonstrationszug. Denn die jungen Leute wollen sich nicht mehr nur ihrem Schicksal ergeben, sondern aktiv um ihre Zukunft kämpfen - gemeinsam mit vielen Jugendlichen aus München. "Das sollte der bayerischen CSU-Regierung zu denken und vor allem Anstoß zum Handeln geben", sagt Bettina Raum, Sprecherin vom jungen Bündnis für Geflüchtete. Die jungen Menschen jedenfalls seien sich einig: "Wir unterstützen Integration."

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Quelle:
SZ vom 28.04.2017 / mest, nt
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