Süddeutsche Zeitung

Dauerausstellung:Die Diva auf der Alm

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Der niederländische Fotograf und Filmemacher Anton Corbijn hat die Wagner-Sängerin Gabriele Schnaut porträtiert

Von Jutta Czeguhn, München

Anton Corbijn hat die Jugend der Menschen bebildert, die in den Achtziger- und Neunzigerjahren einigermaßen bei musikalischem Verstand waren - auch wenn sie damals von Oper (noch) nichts wussten. Der niederländische Fotograf und Filmemacher, Jahrgang 1955, drehte mit den Musikern von Nirvana das verstörende Video "Heart-Shaped Box", das mit dem ausgemergelten Alten am Kreuz. Corbijn wurde zum Hausfotografen von Depeche Mode und zog zudem mit Bono und Co. durch das Death Valley, um nach dem Joshua Tree zu suchen. So kam es zum Titel und Cover-Foto für das legendäre U 2-Album. Gabriele Schnaut musste mit Corbijn nicht durch eine ofenheiße Wüste ziehen, es ging hinter den Achensee ins Karwendel. Dort stand ihm die große Wagner-Sängerin "im Abendkleid neben der Kuhscheiße" Porträt, wie sie jetzt bei der Präsentation des Schwarz-Weiß-Bildes in der Staatsoper verriet.

Die Künstler-Paarung Schnaut-Corbijn ist der aktuelle Neuzugang in einer stetig wachsenden Sammlung zeitgenössischer Kunst in den Foyers des Nationaltheaters, zu sehen im zweiten Rang links. Seit 2013 - damals wurde 50 Jahre Wiedereröffnung des Hauses gefeiert - findet dort an den Wänden eine Art Blutaustausch statt. Die alten Hausgötter der Staatsoper, die sich einst für die "Künstlerahnengalerie des Königlichen Hoftheaters zu München" mit heroischen Posen in Öl bannen ließen, treten nun einer nach dem anderen den Rückzug ins Depot des Theatermuseums an, beziehungsweise dürfen sich noch ein wenig jung fühlen in der Gegenwart ihrer Bühnennachfahren. "Theater ist kein Museum", diese Parole, die Staatsintendant Nikolaus Bachler für sein Haus ausgegeben hat, wird auch in dieser Porträtgalerie kühn gepflegt. Von David LaChapelle, dem Dokumentaristen greller amerikanischer Trash-Kultur, stammt etwa die Fotomontage von Diana Damrau mit Schwan und nacktem Jüngling. Herrlicher Großkitsch, den das Münchner Opernpublikum längst als optischen Pausenfüller goutiert.

Anton Corbijn ist keiner, der es nötig hat, dick aufzutragen. Beim Cocktailempfang in der Staatsoper steht er zunächst etwas abseits und beobachtet. Schriller Glamour war nie sein Fall. Seine ikonischen Porträts von Miles Davis oder Keith Richards, analog und ohne Studiolicht entstanden, sind beinahe Landschaftsfotografien. Gesichter vom Leben zerfurcht wie das Karwendelgebirge.

Scharfe Felskanten, das war es auch, was sich der stille Künstler für sein Porträt von Kammersängerin Schnaut vorstellte. "Für uns Holländer haben die Berge eine magische Stimmung", sagt er. Die ursprüngliche Idee, die Sopranistin auf dem Dach der Staatsoper zu fotografieren, hatte er schnell verworfen: keine gute Aussicht. Also auf in die Berge, einen Location-Scout musste Anton Corbijn, der auch schon Anna Netrebko und Luciano Pavarotti vor seiner Hasselblad hatte, nicht erst anheuern. Das übernahm Gabriele Schnaut selbst, sie lebt mit ihrer Familie am Tegernsee. "Ich hab' Kind und Kegel eingepackt und wir sind losgezogen hinter den Achensee auf eine Mautstraße", erzählt Schnaut. Sie ließ ein paar Fotos von der Stelle machen, die Corbijn dann auch zusagte. Im vergangenen September bei wechselhaftem Wetter ging es dann mit sehr kleinem Team ins Gebirge: der Fotograf, seine Assistentin und eine Mitarbeiterin aus der Maske, die Schnaut schminkte und frisierte. Schnaut erinnert sich an den Aufnahmetag: "Es war alles sehr entspannt und persönlich", sagt sie. Ganz dicht trat Corbijn an das Gesicht der Sängerin heran. Er zeigt sie im Seitenprofil vor der scharfkantigen Bergkulisse. Das Licht fällt von links oben, betont Schnauts hohe Wangenknochen und ihre Charakter-Nase. "Ich bin unglaublich glücklich über das Foto", sagt Schnaut, die sich nicht von einem Maler porträtieren lassen wollte. "Da weiß man ja nie, was dabei herauskommt." Dass Anton Corbijn, von dem es heißt, dass er keine Aufträge mehr annimmt, mit ihr arbeitete, sei dem Münchner Verleger und Kunstsammler Lothar Schirmer und Eva Karcher zu verdanken, die die Staatsoperngalerie kuratiert.

Corbijn und all die anderen Künstler, die mittlerweile in den Foyers des Nationaltheaters hängen, haben ihre Porträtarbeiten weit unter Markwert zur Verfügung gestellt, laut Intendant Bachler eine Art Kunstförderung unter Künstlern. Finanziert und betreut aber wird die alte wie die neue Ahnengalerie des Hauses vom Verein "Freunde des Nationaltheaters". Dessen scheidender Vorsitzender, Berthold Eichwald, kündigte bei dem Empfang für Schnaut und Corbijn weitere spannende Porträt-Paarungen an. Und er empfahl Staatsintendant Nikolaus Bachler, schon einmal nach einem Porträt-Künstler in eigener Sache Ausschau zu halten. Denn auch er werde, wie sein Vorgänger Sir Peter Jonas es sehr britisch formuliert hat, "zu Lebzeiten mitbekommen, wie man gehängt wird".

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SZ vom 23.06.2017
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