Süddeutsche Zeitung

Vor 80 Jahren wurden jüdische Bürger enteignet:Beschlagnahmt und verschwunden

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Die Nationalsozialisten vertreiben in der Reichspogromnacht 15 Dachauer Bürger mit jüdischer Herkunft. Dann rauben sie systematisch das persönliche Eigentum. In vielen Fällen ist noch heute unklar, was aus dem Besitz der NS-Verfolgten geworden ist.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Dass ihm die Nazis nicht nur seine Heimat und seinen Betrieb, sondern auch sein persönliches Eigentum geraubt haben, bekommt Max Wallach am 18. Januar 1939 schwarz auf weiß. Den Unternehmer, der mit seiner Familie aus Dachau nach München fliehen musste, erreicht an diesem Wintertag ein Brief aus seiner alten Heimatstadt. Wallach schrieb zuvor an das Dachauer Bezirksamt. Er wollte wissen, ob es stimme, dass "Sie und Professor Stockmann unser Inventar auf Kulturgut" untersucht und beschlagnahmt hätten. Nun antwortet ihm das Bezirksamt: "Auf Ihr Ansuchen wird Ihnen bestätigt, (...) dass eine bäuerliche Barokvitrine und eine Biedermeierstanduhr beschlagnahmt wurde, die dem Bezirksmuseum Dachau zur Verfügung gestellt wurden." Die Möbel von Max Wallach bleiben auch acht Jahrzehnte später verschollen.

Beschlagnahmt und zur Verfügung gestellt - allein dieser Verwaltungssprech zeigt, dass der Raub jüdischen Eigentums in den Wochen und Monaten nach den Novemberpogromen für die Nazis nicht mehr als eine Formsache ist. Zuerst vertreiben sie in der Nacht auf den 9. November in Dachau 15 Bürger wegen ihrer jüdischen Herkunft aus der Stadt. Anschließend stehlen sie deren materiellen Besitz, darunter Möbel und Bücher. Bis alles Jüdische aus der Stadt verschwindet.

In vielen Fällen ist unklar, was mit jüdischem Eigentum geschah

Auch 80 Jahre nach der Reichspogromnacht ist in sehr vielen Fällen unklar, was mit dem jüdischen Eigentum geschah. Erst vor Kurzem kam es im Depot des heutigen Museums Franken und Würzburg zu einem spektakulärem Fund, als Mitarbeiter die Bestände inventarisieren. Sie stießen auf sieben Kisten mit jüdischen Ritualgegenständen, die zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verbrannt oder fragmentiert waren. Es stellte sich heraus, dass die Nazis etwa ein Drittel der 150 Gegenstände während der Novemberpogrome in Synagogen beschlagnahmten und anschließend dem Museum übergaben.

Es könnte sein, dass sich auch im Bestand des heutigen Dachauer Bezirksmuseum Dinge befinden, die einst Juden gehörten. Man müsse das noch aufarbeiten, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Ursula Nauderer. "Das ist ganz schwierig." Einerseits fehle dem Museum das nötige Personal. Andererseits sei auf den Inventarlisten meistens nicht vermerkt, woher die Gegenstände stammten. Im Bestand befinden sich zwar ein Standuhr und eine Vitrine, aber sie gehörten nicht Max Wallach, sondern dem bekannten Dachauer Maler Hermann Stockmann. Das belegt eine Fotografie, welche die Möbel in Stockmanns Wohnhaus zeigt und in den Zwanziger Jahren entstanden ist. Es ist der "Professor Stockmann", den Max Wallach in seinem Schreiben an das Bezirksamt nennt. Beide kannten sich persönlich.

Die Bibliothek von Julius Kohn

Es ist wahrscheinlich, dass Stockmann, der im Dezember 1938 starb, den Nazis vor seinem Tod bei den Haus- und Wohnungsdurchsuchungen geholfen hat. Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums in München, sagt, dass die Nationalsozialisten zusammen mit Kunsthändlern die Wohnungen ab Mitte November 1938 bis Ende Januar 1939 gezielt durchsuchten. Mitunter hätten Museumsleiter gewusst, "wo es sich lohnen würde, etwas zu holen". Das sei ja das "Perfide", sagt Purin. Wenn man jemanden kannte und wusste, "jetzt ist die Chance da zuzugreifen".

Auch Dachaus Bürgermeister Hans Cramer greift zu. Anfang Dezember 1938 legt sich der Frost über Dachau. Es ist so kalt, dass in dem Haus in der heutigen Hermann-Stockmann-Straße 10, wo bis zum Sonnenaufgang des 9. November die jüdische Familie Neumeyer und deren Untermieter und Freund Julius Kohn lebten, die Wasserleitungen zu gefrieren drohen. Jetzt, da Julius Kohn sein Kellerzimmer verlassen musste, stellt niemand mehr im Winter das Wasser ab, um einen Rohrbruch zu verhindern. Schließlich befindet sich in Kohns Zimmer der Haupthahn.

Die anderen Hausbewohner haben sich an Cramer gewandt. Er bittet daraufhin das Bezirksamt am 10. Dezember 1938, das Zimmer baldmöglichst zu räumen. "Ich schlage vor, die Möbel des Juden Kohn einzulagern und die Bibliothek in Kisten verpackt entweder dem Bezirksamt oder im Keller des Rathauses unterzubringen." Cramer weist auf die "umfangreiche und wertvolle Bibliothek" hin, die man besser nicht im städtischen Bauhof einlagern sollte.

Die Nazi-Polizei beschlagnahmt Bücher

Eine umfangreiche Büchersammlung besitzt auch der Schriftsteller Hermann Gottschalk in seinem Haus in der heutigen St.-Peter-Straße. Am Abend des 10. November 1938 muss er nach München fliehen. Als der nächste Morgen graut, betritt ein Hauptwachtmeister der Dachauer Gendarmeriestation das Gottschalk-Haus. Er handelt im Auftrag von SS-Hauptsturmführer Karl Dobler, der erste Beigeordnete des Bürgermeisters.

Er durchsucht das Inventar und stößt auf mehrere aus seiner Sicht "verbotene" Bücher. 49 Stück listet die Polizei später in einem Verzeichnis penibel auf, darunter Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque, Jeremias von Stefan Zweig, viele Romane von Georg Hirschfeld, der in der Dachauer Künstlerkolonie lebte, und Gottschalks eigene Schriften und Manuskripte. Der Hauptwachtmeister nimmt die Werke mit auf die Station. Erst am 12. April 1939 bekommt die Frau von Hermann Gottschalk einen Teil der Bücher zurück. Dem Landrat schreibt sie anschließend, dass sie ein "mit Maschinenschrift geschriebenes Stück vermisse".

Eine Woche nach der Nacht, als sich das Tor zu Auschwitz geöffnet hat, weist der Kreisleiter der NSDAP, Hans Eder, Bürgermeister Cramer an, "auf schnellsten Verkauf jüdischen Haus- und Grundbesitzes zu drängen". Bereits am 20. Januar 1939 kann Cramer den "Auftrag" als erledigt vermelden. Er habe alle Juden mit Haus- und Grundbesitz veranlasst, "eine Vollmacht zur Verwertung ihres Besitzes zu unterschreiben", berichtet er. Die Stadt Dachau sei "heute völlig judenfrei". Was für ein Zynismus angesichts der Tatsache, dass die Nazis im Zuge der Novemberpogrome 11 000 Juden ins Konzentrationslager sperren.

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Quelle:
SZ vom 08.11.2018
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