Süddeutsche Zeitung

VHS-Leiter wollen öffnen:Volkshochschulen fühlen sich im Stich gelassen

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Noch ist nicht klar, wann sie den Betrieb wieder aufnehmen dürfen. Sowohl die Dozenten, als auch die Bildungseinrichtungen selbst fürchten um ihre Existenz

Von Christiane Bracht, Dachau

Bei den Volkshochschulen im Landkreis brodelt es: "Biergärten und Kneipen öffnen, aber Menschen in der Erwachsenenbildung billigt man nicht zu, dass sie sich fortbilden können. Ich bin wirklich erstaunt und zornig. Was sind da die Hintergründe?", fragt sich der Geschäftsführer der VHS Dachau Matthias Buschhaus. "Wir fühlen uns übergangen", klagt auch Daniela Niedermaier, die Leiterin der Karlsfelder Einrichtung. Es gab offenbar schon vor 14 Tagen Pläne, wie man die Erwachsenenbildung langsam wieder aktivieren könnte. "Kultusminister Michael Piazolo hatte alles vorbereitet, aber er hat sich in der Kabinettssitzung nicht durchsetzen können", sagt Buschhaus. "Jetzt dürfen sich demnächst sogar wieder Gruppen von Menschen treffen, nur wir dürfen immer noch nichts."

Auch in Markt Indersdorf ist der Frust groß. VHS-Leiterin Andrea Liebl stand schon in den Startlöchern. "Erwachsenenbildung hat Verfassungsrang", mahnt sie. Daran sollte sich der Staat erinnern. "Bildung ist kein Luxus, sondern bitter notwendig - für gesellschaftliche Teilhabe aller und als beste Prävention vor dem wachsenden Einfluss von Verschwörungstheorien und Fake News", betont auch der Verband Bayerischer Volkshochschulen. Bislang habe man geschwiegen und darauf vertraut, dass man bald weiter machen könne, wenn auch in eingeschränktem Rahmen, so die Leiter der Einrichtungen im Landkreis Dachau. Doch jetzt habe man bemerkt, dass die Erwachsenenbildung schlicht nicht berücksichtigt werde bei den Überlegungen zu weiteren Öffnungen. "Wir hängen in der Luft", sagt Liebl. Deshalb "müssen wir uns vehementer wehren, mehr auf uns aufmerksam machen als bisher." Die VHS-Leiter und ihre Teams wollen einfach eine Perspektive.

Seit 17. März - also seit mehr als zwei Monaten - sind alle Kurse bis auf weiteres abgesagt. "Die Depression wächst", macht Buschhaus klar. "Die Dozenten werden massiver und die Teilnehmer sind langsam sauer." Ganz so drastisch wie in Dachau scheint es sich in kleineren Kommunen noch nicht darzustellen. Niedermaier sagt, die Karlsfelder seien bislang sehr geduldig, auch in Markt Indersdorf kommen offenbar nur wenige Rückfragen. Aber überall gibt es Kursleiter, die von ihrer Tätigkeit bei der Volkshochschule leben und nun von heute auf morgen vor dem Ruin stehen. Die einen mussten schon Hartz IV beantragen, andere halten sich mit 450-Euro-Jobs über Wasser. Anfangs hieß es noch, die Corona-Soforthilfe werde den Dozenten finanziell unter die Arme greifen, doch das hat sich längst als Irrtum herausgestellt. Sie haben praktisch keine betriebsbedingten Auslagen und rutschen deshalb durch den Rettungsschirm. Der Förderverein der Dachauer VHS hat bereits einen Spendenaufruf gemacht, um die finanziellen Einbußen, die die Dozenten, aber auch die VHS selbst nun haben, auf diese Weise ein wenig abzufedern. Von etwa 250 Kursleitern in Dachau stünden bestimmt 15 vor den Scherben ihrer Existenz, sagt Buschhaus. Bayernweit schätzt der Verband sogar, dass ein Drittel aller Dozenten jetzt finanziell in einer prekären Lage sind.

Aber auch die Bildungseinrichtungen selbst stehen vor finanziellen Problemen. Noch halten sich die Geschäftsführer und Leiter der Einrichtungen zurück. Zahlen wollen sie nicht nennen, auch weil das Ausmaß des Desasters noch nicht so ganz genau erkennbar sei. Noch hoffen viele darauf, dass die Kurse wieder aufgenommen werden können. Nur in München hat man bereits das Semester abgeschrieben.

Der Verband rechnet jedoch bayernweit mit einem Finanzloch von 23,5 Millionen Euro bis Ende Juli. Der Blick in die Zukunft wird sogar noch düsterer: Selbst wenn die Kurse im Herbst wieder starten, so dürfen künftig nicht mehr so viele teilnehmen wie bisher. Das bedeutet weitere Einbußen. Bis Ende 2021 werde die Finanzierungslücke in Bayern mehr als 74 Millionen Euro betragen, prophezeit der Verband. "Die Folgen: Entlassungen und Insolvenzen, insbesondere bei den privatrechtlich organisierten Volkshochschulen. Eine über 100-jährige flächendeckende Struktur der Erwachsenenbildung droht zu verschwinden." Es bedürfe deshalb "finanzieller Anstrengung von kommunaler Seite und auf Landesebene", so der Verband, um das System Volkshochschule zu retten.

Keine Sorgen diesbezüglich macht sich Daniela Niedermaier, denn die Karlsfelder VHS ist eine kommunale Einrichtung. Die Gemeinde zahlt die Gehälter - allerdings ist diese selbst in finanziellen Schwierigkeiten. Die Markt Indersdorfer VHS ist dagegen ein Verein, der einen Zuschuss von der Gemeinde bekommt. "Bis jetzt brauchen wir niemanden der uns auffängt", sagt Liebl. Der Verein scheint Rücklagen zu haben, aber Sorgenfalten hat die Leiterin dennoch auf der Stirn, wenn sie daran denkt, dass sie eventuell Gebühren zurückzahlen muss. In Dachau ist die VHS eine GmbH. Brechen die Teilnehmergebühren und die Finanzierung des Ausländeramts für die Integrationskurse weg, bleiben dem gemeinnützigen Unternehmen nur noch die öffentlichen Zuwendungen von Stadt, Landkreis und Freistaat. "Solche Herausforderungen können wir nur in der Solidargemeinschaft bewältigen", sagt Buschhaus.

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SZ vom 22.05.2020
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