Süddeutsche Zeitung

Szenische Lesung:Satirische Meisterwerke

Lesezeit: 3 min

Das Hoftheater widmet Heinrich Böll eine Lesung zum 100. Geburtstag

Von Renate Zauscher, Bergkirchen

Wer an Heinrich Böll denkt, den wohl wichtigsten deutschen Schriftsteller nach dem Zweiten Weltkrieg, der im Dezember 1917, exakt vor 100 Jahren geboren wurde und der 1985 starb, dem fallen Titel ein wie "Gruppenbild mit Dame" oder "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Aber es gibt neben dem Romancier, dem Hörspielautor und dem Empfänger des Literaturnobelpreises von 1972, neben dem Kriegs-Traumatisierten und zunächst erfolglosen, später im hohen Grade politischen Schriftsteller und dem Friedenskämpfer, auch jenen anderen, früheren Böll: den Autor einer ganzen Reihe satirischer Kurzgeschichten und Novellen aus dem ersten Jahrzehnt der Nachkriegszeit.

Herbert Müller, Leiter des Hoftheaters Bergkirchen, hat fünf der zwischen 1950 und 1955 erschienen Kurzgeschichten Bölls für die szenische Lesung ausgewählt, die seit vielen Jahren am zweiten Weihnachtsfeiertag auf dem Programm des Hoftheaters steht. Er hat damit an eine Seite von Bölls Werk erinnert, die heute keineswegs mehr jedem präsent ist.

Seit Heinrich Bölls größten Erfolgen, die sich etwa in den 1,8 Millionen verkauften Exemplaren von "Ansichten eines Clowns" widerspiegeln, sind fast vierzig Jahre vergangen. Heute wird Böll nicht annähernd mehr so viel gelesen wie zu Zeiten von Notstandsgesetzen, Aufrüstungsdebatten oder der Friedensbewegung. Das bundesrepublikanische Nachkriegsdeutschland, zu dessen detailgenauesten Chronisten und klarsichtigsten Kritikern Böll gehörte, ist heute vielfach nur noch vage Erinnerung. Das aber, was Böll in Kurzgeschichten wie "Wie nicht nur zur Weihnachtszeit" oder in "Doktor Murkes gesammeltes Schweigen" über die deutsche Gesellschaft jener Jahre zu sagen hatte, kann durchaus auch im Licht gegenwärtiger Entwicklungen gelesen werden. Da ist etwa die "Tante Milla", für die Weihnachten, trotz überstandenem Krieg, trotz Bombennächten und dem vorübergehend weggepackten Christbaumschmuck, immer noch so aussehen muss wie vor der Katastrophe: eine Inszenierung, die immer mehr zur Groteske ausartet und damit zum Symbol wird für die restaurativen Tendenzen, das starre Zurückblicken auf Vergangenes, der ersten Nachkriegszeit.

Zu Herbert Müllers liebsten Kurzgeschichten von Böll gehört die über den "Doktor Murke", der im Funkhaus einem hoch geachteten Mann aus der Kulturszene zu Diensten sein und dessen ständig gebrauchtes Wort "Gott" kurz vor Sendebeginn aus der fertigen Rede tilgen muss. Stattdessen soll von "jenem höheren Wesen, das wir verehren", die Rede sein - eine schöne Referenz an den neuen, vielleicht aber auch den eben erst in der Versenkung verschwundenen Zeitgeist. Hier macht sich Böll in einer auf die Spitze getriebenen Satire über den Kulturbetrieb seiner Zeit lustig: über blinde Verehrung vermeintlich großer Geister, deren selbstgefälliges, pseudointellektuelles Geschwätz Böll immer schon zutiefst zuwider war. Große Worte, große Gesten: Böll witterte in ihnen, sicherlich zu Recht, das Weiterleben bereits überwunden geglaubten Gedankenguts aus der NS-Zeit. Schon in einem seiner Kriegsbriefe schreibt er 1942 vom "deutschen Gelehrtenpack" - und sieht es jetzt, nach 1945, ohne großen personellen Wechsel wieder am alten Platz.

Kleine satirische Meisterwerke sind schließlich auch Texte wie "Die Suche nach dem Leser", in dem Böll wohl die eigenen Erfahrungen als angehender Schriftsteller verarbeitet hat, oder die Kurzgeschichte "Über die Brücke", in der er die Sinnlosigkeit mancher über Zeiten und Generationen hinwegdauernder Existenzformen zum Thema macht. Beim Vortrag der von ihm ausgewählten Texte "liest" Herbert Müller nicht nur, er "spielt" sie - und verleiht ihnen damit zusätzliche Eindrücklichkeit. Wunderbar, wie er dem Satz von "jenem höheren Wesen, das wir verehren", je nach dem Zusammenhang, in dem er gesagt wird, unterschiedlichste Nuancen verleiht: Mal flüsternd, dann wieder so wütend donnernd wird dieser Satz gesagt, dass das Publikum im Hoftheater dem Vortrag gebannt folgt.

Dabei kam das zum Tragen, was Herbert Müller mit einem Text sagen wollte, den er der eigentlichen Lesung vorangestellt hatte: Da wird Adam geschildert, der die Sprache "erfindet" und zum ersten Poeten der Menschheitsgeschichte wird, indem er Tiere und Pflanzen benennt: Er will sich schließlich mit Eva über die Dinge in seiner Umwelt unterhalten können. Gutes Erzählen, auch gutes Vorlesen einerseits und gutes Zuhören andererseits bedingen und ergänzen einander - das ist die Botschaft. Erst im Wechselspiel entsteht die eigentliche Kunst des Vortrags, des Miteinander-im-Gespräch-Seins. "Vorlesen - das ist eigentlich Theater ohne Szene", sagt Müller.

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SZ vom 29.12.2017
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