Süddeutsche Zeitung

Scheinselbständigkeit:Gedenkstätten-Referenten sind verunsichert

Lesezeit: 4 min

Freiberufliche Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte sollen fest angestellt werden. Nicht allen können Arbeitsverträge garantiert werden.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Die KZ-Gedenkstätte Dachau steht vor einem großen personellen Umbruch. Um Scheinselbständigkeit bei ihren Mitarbeitern zu vermeiden, muss die Einrichtung freiberufliche Referenten, die Besuchergruppen über das Gelände führen, fest anstellen und ihnen Sozialabgaben zahlen. Nach Angaben der Stiftung der Bayerische Gedenkstätten sind von der neuen Regelung in der KZ-Gedenkstätte Dachau rund 150 Mitarbeiter betroffen. Etwa die Hälfte davon macht mehr als sieben Führungen im Jahr und müsste fest angestellt werden, sagt Stiftungsverwaltungsleiter Heinrich Zintl.

Viele der betroffenen Mitarbeiter, die teilweise seit mehr als zehn Jahren an der Gedenkstätte tätig sind, sind verunsichert. Andrea Heller vom Förderverein für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit hat in den vergangenen Tagen viele besorgte Stimmen gehört. "Es weiß keiner, was das nun überhaupt für uns bedeutet", sagt sie. Man wolle die drei Informationsveranstaltungen abwarten, welche die Gedenkstätte für Anfang Oktober angesetzt hat.

Unter bestimmten Voraussetzungen sollen die Referenten Arbeitsverträge bei einem Mindestumfang von zweieinhalb Wochenstunden erhalten. Derzeit bekommen sie ein Honorar, das sich je nach zeitlichem Aufwand und Umfang zwischen 85 und 180 Euro pro Führung bewegt. Wer weniger als acht Führungen pro Jahr anbietet, könne weiterhin freiberuflich tätig sein. Hier bestehe keine Gefahr der Scheinselbständigkeit.

Doch noch ist unklar, wie viele Stellen überhaupt entstehen können. In einem Brief an alle Referenten schreibt die Leiterin Gabriele Hammermann, man bemühe sich alle Interessenten zu berücksichtigen. "Eine Garantie auf einen Arbeitsvertrag kann jedoch leider nicht gegeben werden." Auf Nachfrage sagt Hammermann, es stelle sich auch die Frage, ob alle Referenten an einer Anstellung interessiert sein. Man wolle die Maßnahme im Dialog mit den Referenten umsetzen.

Hintergrund der Umstellung ist ein einstimmiger Beschluss des Rates der Stiftung der Bayerischen Gedenkstätten, in dem Vertreter des Bundes und Freistaates sowie von Kirchen und Opfergruppen sitzen. Es ist eine präventive Maßnahme, um die Gedenkstätten in Dachau und Flossenbürg rechtlich abzusichern.

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) hat in den vergangenen Jahren verstärkt die Beschäftigungsverhältnisse im Bereich Bildung und Vermittlung in Museen im Hinblick auf mögliche Scheinselbständigkeit überprüft. Anfang Mai 2012 verdonnerte die DRV die Verwaltung des Bundestags, knapp eine Million Euro an Sozialabgaben nur für die Jahre 2006 bis 2009 nachzuzahlen. Das Parlament hatte beim Besucherdienst und in der Öffentlichkeitsarbeit freie Honorarkräfte beschäftigt. 2013 entließ das NS-Dokumentationszentrum auf dem Obersalzberg alle 22 Rundgangsleiter wegen des Verdachts auf Scheinselbständigkeit.

In Folge dessen kündigte der Stiftungsdirektor der Bayerischen Gedenkstätten und CSU-Landtagsabgeordneter Karl Freller an, alle Vereinbarungen an den Einrichtungen in Dachau und Flossenbürg zu überprüfen. Das ist nun geschehen. Die Gefahr der Scheinselbständigkeit habe bestanden, sagt Freller. "Wir wollen nun eine Regelung schaffen, die unanfechtbar ist." Er bedauere die Änderung. Schließlich sei das alte Modell flexibler gewesen. "Aber wir sind der Gesetzeslage verpflichtet."

Die Gedenkstätten in Flossenbürg und Dachau sollen nun den Entschluss des Stiftungsrates umsetzen. Sie sollen nur mit den Referenten ein Arbeitsverhältnis bilden, die mehr als sieben Führungen pro Jahr machen. In Dachau würden die meisten Referenten entsprechend ihres Arbeitsaufkommens bei einer Anstellung im Minijob-Bereich bleiben, also weniger als 450 Euro verdienen, sagt Zintl. Sechs oder sieben Referenten würden derzeit so viele Führungen machen, dass sie in Teilzeit arbeiten könnten.

Doch nicht nur die Referenten, auch die Verwaltung der Gedenkstätten wird sich umstellen müssen. Der bürokratische Aufwand dürfte deutlich steigen. Schließlich müssen Dinge wir Sonntagszuschläge, Urlaubstage oder Weihnachtsgeld künftig abgerechnet werden.

Dennoch sieht die Dachauer Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann die Veränderung als "große Chance". Man verbinde damit die Rechtssicherheit der Beteiligten "mit einer Würdigung der Referenten" durch ein Angestelltenverhältnis mit all seinen Vorzügen wie einer Rentenversicherung, sagt sie. "Die Gedenkstätten haben,vielleicht noch mehr als andere Einrichtungen, eine Vorbildfunktion, die vor den Beschäftigungsverhältnissen keinen Halt macht."

Auch Jörg Skriebeleit, Leiter der Flossenbürger Einrichtung, wo etwa 30 Referenten von der neuen Regelung betroffen sind, begrüßt die Änderung. "Man hätte das nicht mehr so weiterlaufen lassen können." Gleichwohl sind sich Hammermann und Skriebeleit bewusst, dass die Umstellung einige Referenten vor Probleme stellt. Viele haben sich diese Tätigkeit ausgesucht, eben weil sie dort freiberuflich arbeiten können. Der Großteil dürfte einen Hauptberuf haben. Nicht jeder kann ein zweites Vertragsverhältnis eingehen. Hinzu kommt, dass sich freilich die Bezahlung ändert. Wer angestellt ist, wird nicht mehr pro Führung bezahlt, sondern bekommt jeden Monat ein festes Gehalt.

"Am Anfang kommt es einem vielleicht weniger vor", sagt Zintl. Wenn man aber Dinge wie Weihnachtsgeld und Sonntagszuschläge mit einberechne, kommen man aber in etwa auf dasselbe Gehalt. Hammermann sagt, sie verstehe, dass die Veränderung nicht jedem gefalle. "Wir würden es bedauern, wenn wir dadurch wertvolle Referenten verlieren." Auch Freller betont, dass man die Arbeit der Rundgangsleiter damit keinesfalls herabwürdigen wolle.

Circa 350 Menschen haben eine Lizenz, um Gruppen über das ehemalige KZ-Gelände zu führen. Nicht alle werden von der Gedenkstätte bezahlt. Auch Einrichtungen wie das Dachauer Forum oder das Max-Mannheimer-Studienzentrum verfügen über einen Personal-Pool.

Gerd Modert leitet die Gedenkstättenarbeit beim Dachauer Forum, das etwa 70 Referenten hat, von denen nicht alle aktiv sind. Sie bekämen weiterhin ein Honorar, sagt er. Genauso wie die 30 freiberuflichen Gästeführer des Max-Mannheimer-Studienzentrums. Die neue Regelung habe keine Auswirkungen auf seine Kollegen. Modert hat von der Änderung gehört. "Das ist ein dickes Ding. Ich hatte gehofft, dass es nicht so kommen musste." Er könne sich vorstellen, dass nun einige beim Dachauer Forum anheuern. "Doch unser Volumen ist begrenzt."

In der KZ-Gedenkstätte Buchenwald gibt es sowohl festangestellte Pädagogen als auch freie Mitarbeiter, die Besuchergruppen durch das ehemalige Konzentrationslager bei Weimar führen. "Mehr Stellen sind natürlich wünschenswert, sind aber nicht nur mit mehr Verwaltungsaufwand verbunden, sondern entsprechen auch nicht per se den Wünschen der freien Mitarbeiter, die häufig auch für andere Institutionen arbeiten", sagt eine Pressesprecherin. Man brauche die Freien. "Ohne sie können wir die Besuchermassen nicht bedienen."

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Quelle:
SZ vom 12.09.2018
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