Süddeutsche Zeitung

Rauschende Premiere:Witziges, spritziges Theater

Lesezeit: 3 min

Die Sommerrevue "Pension Schöller" begeistert das Publikum in Bergkirchen. Statt Klamauk erwartet die Zuschauer nun eine mitreißende und unterhaltsame Komödie mit sehr aktuellem Bezug

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

"Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da". Der Aufruf zum Sturz des französischen Königs aus dem Gustav-Gründgens-Film "Tanz auf dem Vulkan" von 1938 ist am Donnerstagabend im Hoftheater Bergkirchen die grandiose Ouvertüre zum Musikalischen Theatersommer 2017. Gesungen haben ihn Mona Weiblen und Annalena Lipp - und zwar so wunderbar böse, dass Gründgens dagegen wie ein Schmierenkomödiant wirkt, der mal kurz Revolution probt. Dass die sommerliche Revue "Pension Schöller" damit einen hochaktuellen Bezug bekommt, war allerdings nicht vorherzusehen. Denn zeitgleich heißt es bekanntlich in Hamburg "Welcome to Hell" mit Krawallen und Ausschreitungen. Ebenfalls in Hamburg setzen beim "Global Citizen Festival" am Donnerstag Stars und Politiker auf Musik statt Gewalt im Kampf gegen Armut und für eine gerechtere Welt. Gerecht war die Welt in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts überhaupt nicht, auch wenn sie immer noch gerne als die "goldenen" apostrophiert werden. Für Ablenkung - und für eine Möglichkeit offener und versteckter Kritik - sorgten seinerzeit glanzvolle Revuen, spitzzüngige Kabaretts und - auch noch nach der Machtübernahme der Nazis - vordergründig prachtvoll ausstaffierte Filme und Theaterstücke. Parallelen zum aktuellen Zeitgeschehen drängen sich förmlich auf.

Das mag ein Grund sein, warum Hoftheater-Chef Herbert Müller die Klamotte "Pension Schöller" als Sujet für den Theatersommer gewählt und sie einer Grundsanierung unterzogen hat. Aus dem Klamauk-Stück von Wilhelm Jacoby und Carl Laufs haben Müller sowie das Ehepaar Ingrid und Robert Scheingraber, der auch die musikalische Leitung innehat, ein witziges, spritziges Theatererlebnis gemacht. Ulrike Beckers hat das Hoftheater in eine Berliner Tingeltangel-Bühne verwandelt, hat mit überdimensionierten Fotos den Geist jener Zeit eingefangen und ihre Darsteller in tolle Kostüme gesteckt.

Was aber macht den Zauber dieses Sommertheaters aus? Das sind vor allem die Darsteller, allen voran die beiden "Schöller-Sisters", in der Premiere fabelhaft getanzt, gesungen und gespielt von Mona Weiblen und Annalena Lipp. Die beiden haben vor einem Jahr ihre Ausbildung als Musical-Darstellerinnen beendet und zusammen mit Helena Schneider die anspruchsvolle Choreografie erarbeitet. In Glitzerkostümen und Kopfschmuck vom Feinsten bringen sie mehr als einen Hauch von großer Welt auf die kleine Bühne des Hoftheaters - und sorgen am Premierenabend dafür, dass der berühmte Funke schon in den ersten Minuten ins begeisterte Publikum überspringt.

Was aber haben zwei verführerische Girls, die den Hormonpegel der Männer verrückt spielen lassen, in einer Familienpension zu suchen? Sie sind eigentlich Zimmermädchen, wie der servile Direktor Schöller (Jürgen Füser) seinen neuen Gästen erklärt. Das sind der Leibwäsche-Fabrikant Philipp Klapproth (Herbert Müller als Liebesabenteuer-süchtiger Provinzler) aus Kyritz an der Knatter und seine Schwester Ulrike. Ingrid Scheingraber singt und spielt diese Bilderbuch-Xantippe mit einer überwältigenden Mischung aus altjüngferlicher Bigotterie und mütterlicher Fürsorge. Die ungleichen Geschwister treffen auf eine ziemlich durchgeknallte Gesellschaft. Da ist einmal der Schauspieler Eugen Rümpel, der kein L sprechen kann, aber von der großen Karriere träumt und seine Zuschauer singend und steppend auf einen Parforceritt durch die Weltliteratur mitnimmt. Eine Paraderolle für Ansgar Wilk. Rümpel steht in ständiger Konkurrenz mit dem Prahlhans Fritz Bernhardy (Tobias Zeitz). Der näselt sich durch seine erfundenen Abenteuer, so schön wie einst Theo Lingen. Die drei Herren können und wollen sich den Avancen der Möchtegern-Nymphomanin und -Schriftstellerin Josephine Krüger nicht entziehen. Christina Schäfer macht aus der schon etwas verblühten Dame eine gelungene Mischung aus Oberlehrerin und verhinderter Femme Fatale. Komplettiert wird die seltsame Gesellschaft durch die zickige, schlagfertige Kellnerin Louise (Lisa Wittemer). Sie ist Napoleon-Verehrerin und mindestens so abgedreht wie das ganze Stück. Das hat partiell schon Monty-Python-Charakter, ist eine irre Mischung aus ironisch verfremdeten zeitlosen Schlagern und Slapstick-Szenen. Die eigens zusammengestellte "Schöller-Band" mit Robert Scheingraber am Klavier, Ludwig Mittelhammer mit Saxofon und Klarinette sowie Maximilian Müller am Schlagzeug überzeugt mit ihren superben Arrangements und führt Darsteller und Publikum zu einem wahren Finale Furioso intelligenter, mitreißender Unterhaltung.

"Musikalischer Theatersommer Bergkirchen": Pension Schöller. Bis 6. August, jeweils donnerstags bis sonntags um 20 Uhr im Hoftheater Bergkirchen.

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Quelle:
SZ vom 08.07.2017
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