Süddeutsche Zeitung

Verschenk-Aktion:Ein Tässchen, das von Herzen kommt

Lesezeit: 3 min

Zwei Kaffees zahlen, einen trinken, den anderen spendieren als nette Geste für seine Mitmenschen - in Neapel hat das Tradition. Im Landkreis ist das seit dieser Woche auch möglich: 37 Geschäfte beteiligen sich an dem Projekt "Herzbrettl". Auch der Landrat macht mit

Von Christiane Bracht, Dachau

Die Idee ist einfach und sehr charmant: Man geht in ein Café, trinkt einen Cappuccino und zahlt zwei. Nicht, weil man zu viel Geld hat und nicht weiß, wofür man es sonst ausgeben könnte, sondern weil man einen anderen Menschen einladen möchte. "Von Herzen geben und von Herzen nehmen" - seit dieser Woche ist das im Landkreis Dachau problemlos möglich. Die Aktion "Herzbrettl" lädt dazu ein. 37 Geschäfte machen mit. Noch ist nicht in jeder Gemeinde eins, aber in elf Kommunen des Landkreises gibt es die Aktion, auch in zwei Geschäften der Nachbarlandkreise Pfaffenhofen an der Ilm und Aichach-Friedberg. Die Initiatoren hoffen, dass es noch mehr werden.

Die Idee kommt aus Italien. "Caffè sospeso" (aufgeschobener Kaffee) heißt sie dort. Um die Jahrhundertwende keimte dieser Gedanke erstmals in Neapel auf, von dort verbreitet er sich. Der ehemalige ÖDP-Kreisrat Georg Weigl lernte das in einem Italienurlaub kennen und war sofort so begeistert, dass er die Idee im November 2018 auf Facebook postete und Landrat Stefan Löwl einen Link schickte. Er wünschte sich auch in Dachau einen "Caffè sospeso". Mit Löwl beratschlagte er, wie man das realisieren könnte. Doch es dauerte noch fast zwei Jahre, bis die Idee in die Tat umgesetzt werden konnte.

Das Hauptproblem war zunächst die Steuer. Niemand, der Gutes tun will, sollte in den Verdacht kommen, Steuern zu hinterziehen. Doch nun hat sich eine gute Lösung gefunden. Wer einen anderen einladen möchte, bekommt einen Kassenbon mit Stempel, dieser wird an ein hölzernes "Herzbrettl" geklemmt, das in den Läden aushängt. Kommt jemand, der gerne einen Kaffee trinken möchte, kann er sich einen Zettel nehmen und bekommt dafür den gewünschten Wachmacher, oder was sonst so angeboten wird, serviert. "Ganz unproblematisch", konstatiert Löwl. "Wenn man etwas Gutes tun möchte, findet man meistens einen Weg."

Wirtschaftsförderung, Bäcker- und Metzgerinnung sowie der Gaststättenverband und die Caritas haben gemeinsam an dieser Lösung gebastelt und einige Geschäftsleute akquiriert. Auch die Dachauer Marketingspezialisten Ralf Weimar und Philipp Paulus waren sofort Feuer und Flamme: "Ich bin großer Italien-Fan und kenne das Prinzip", erklärt Philipp Paulus. "Es geht nicht nur um Bedürftigkeit, sondern um eine nette Geste im Alltag." Die beiden entwickelten flugs das Logo und den Namen "Herzbrettl" - wohlgemerkt kostenlos. Auch sie wollten einen Beitrag zum Gelingen der Aktion leisten.

Ob die Kunden von Bäckereien, Metzgereien, Wirtschaften und Cafés tatsächlich mitmachen, wird sich aber erst noch zeigen. "Viele geben gerne. Nicht umsonst steigt die Spendenbereitschaft der Deutschen jedes Jahr", sagt Landrat Löwl. Auch er hat bereits einen ersten Beitrag für das Herzbrettl geleistet: Der Bon für eine Breze flattert bereits am hölzernen Herz und wartet auf einen, der sie gerne isst. Zweifel haben die Initiatoren aber daran, ob sich die Leute auch gerne beschenken lassen. "Was zu nehmen und danke zu sagen, ist schwieriger", sagt Löwl. Der ersten Kundin in der Bäckerei Denk, die am Dienstag ins Geschäft kam, versuchte er seine Breze schmackhaft zu machen, doch ohne Erfolg. "Das Schamgefühl ist groß. Niemand will den Eindruck erwecken, er könne sich etwas nicht leisten. Gerade in einem Ort, in dem jeder jeden kennt", fürchtet Paulus. Das Gelingen der Aktion werde sehr davon abhängen, wie sehr die Bäcker und Metzger aktiv auf die Aktion hinweisen. Gerade deshalb sei es wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass es eben nicht um Almosen gehe.

Jeder soll sich einen Kaffee, eine Kugel Eis, einen Kuchen oder eine Wurst nehmen können - der Schüler, der kaum Taschengeld hat, aber Hunger, der Handwerker, der schnell mal eine Pause macht, die alleinerziehende Mutter, die gerade kein passendes Kleingeld hat, aber mal kurz durchschnaufen möchte oder die Seniorin, die es genießt, mal unter Leuten zu sein, den Geldbeutel aber leider zu Hause vergessen hat. "Aber auch der Landrat darf sich mal was nehmen", sagt Löwl, der gerne mal beschenkt wird. "Von Herzen nehmen, das müssen die meisten vermutlich erst lernen." Aber es gibt bereits viele Interessenten, die bei der Aktion mitmachen wollen. Laut Löwl sind sogar Fitnessstudios mit dabei und Tanzschulen, von denen man es eher nicht erwartet hätte. In den Gemeinden, bei Sozialverbänden und an vielen Stellen sollen nun Flugblätter ausgelegt werden, die auf das Herzbrettl hinweisen. In der Bäckerei Denk in Dachau flattern unterdessen nach dem ersten Tag bereits drei Bons - mitten auf der Theke, damit sie niemand übersehen kann.

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Quelle:
SZ vom 17.07.2020
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