Süddeutsche Zeitung

Künstlervereinigung Dachau:Mutwillige Zerstörung von Kunstwerken

Lesezeit: 3 min

Eine Woche nach der Eröffnung der Freiluftausstellung "Raus" sind Dachauer Künstler beunruhigt und frustriert

Von Gregor Schiegl und Helen Krueger-janson, Dachau

Luisa Koch steht vor einem Scherbenhaufen. Die Trümmer ihrer 300 Kilogramm schweren Keramikskulptur liegen verstreut im Gras. Am Donnerstagmorgen hat ein Passant die Stadt darüber informiert, dass eines der vier Kunstwerke im Park des Moorbadgeländes zerstört worden sei; die Tat muss sich in der Nacht zum Donnerstag ereignet haben. "Das ist ein krasser Schlag", sagt Luisa Koch. Dieser Schlag erschüttert auch die gesamte Dachauer Kunstszene. "Das schmälert unsere Freude und das Erfolgsgefühl, das wir mit unserer Freiluftausstellung bisher hatten, ganz erheblich", sagt Florian Marschall, Vorstandsmitglied der Künstlervereinigung Dachau (KVD).

Seit einigen Tagen bespielt die KVD das Stadtgebiet zur Feier ihres 100-jährigen Bestehens mit Kunstwerken. 18 KVD-Künstler machen mit und 15 Gastkünstler. Eine von ihnen ist Luisa Koch. Vor einer Woche hat sie ihre Plastiken im Moorbadpark aufgestellt. Jetzt schichtet sie die Überreste von 200 Stunden Arbeit in eine Plastikwanne. Ihre zweite, heil gebliebene Keramik - eine himmelblaue Skulptur mit weißen Wolken, steht mit Plastikgurten festgezurrt auf der Ladefläche eines Transporters. "Ich will niemanden ermutigen, diese Keramik auch noch zu zerstören."

Am Sonntag war die Stimmung noch heiter und ausgelassen, die Vernissage war ein großes Fest, bei der die Künstler viel Zustimmung von den Dachauern erfahren hatten. "Endlich kommt die Kunst mal raus!" Solche Sätze hat Margot Krottenthaler, selbst ausstellende Künstlerin und zweite Vorsitzende der KVD, oft gehört. "Es gab viele positive Rückmeldungen auch und gerade von Leuten, die jetzt keine ausgesprochenen Museumsgänger sind."

Doch schon in der Vergangenheit hat es Beschädigungen an Kunstwerken in der Raus-Ausstellung gegeben, am Schwimmstein von Ullrich Hochmann wohl eher aus Versehen durch neugierige Leute, die an den Befestigungsleinen der Skulptur gezerrt hatten. Die Arbeit von Katrin Schürmann in der Bahnhofsunterführung wurde aber gezielt beschädigt: Unter dem Titel "Vice Versa" hat sie sich mit dem Zusammenhang von Kolonialismus und Migration beschäftigt. Auf der einen Seite stellt sie den Auftritt deutscher Kolonialherren in Afrika vor mehr als 100 Jahren dar. Das Bild gegenüber zeigt eine Aufnahme des italienischen Fotografen Sinti Palacios von der Ankunft afrikanischer Flüchtlinge. Zwischen Freitagabend und Samstagmorgen wurden die Ösen der etwa vier Quadratmeter großen Bilderfolien herausgerissen, ebenso der Teppichboden mit der Aufschrift "Sie kamen übers Meer".

"Ich wollte gar nicht mehr hin", sagt die Künstlerin aus Haimhausen. "Aber ein Kollege hat mich ermutigt, es doch noch einmal zu reparieren." Und so klebten die beiden Künstler mit Panzerband die herausgerissenen Ösen an die Wand, sprühten den Spruch "Sie kamen über das Meer" mit Sprayfarbe auf den Boden. Über die Täter sagt Schürmann nur: "Das sind Leute, die keine Beziehung dazu haben, die haben keine Beschäftigung."

Natürlich hatte sich die KVD vorab mit der Möglichkeit befasst, dass es bei Werken im öffentlichen Raum zu Sachbeschädigungen kommen könnte, "wir sind ja nicht naiv", sagte Margot Krottenthaler. Allerdings gingen sie eher von Bagatellschäden wie den obligatorischen Filzstiftschmierereien aus. Versichert sind die Arbeiten nicht. KVD-Chef Johannes Karl hatte diese Möglichkeit geprüft, aber die Auflagen wären kaum zu erfüllen gewesen: Bewachung der Kunstwerke und gleichzeitig saftige Versicherungsprämien. "Das hätte nochmal so viel gekostet wie die Ausstellung selbst", sagt Krottenthaler. Und so ist neben der Frustration auch der Schaden für Luisa Koch erheblich. "Wenn jemand die Skulptur hätte kaufen wollen, hätte ich etwa 7000 Euro verlangt." Luisa Koch hat Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt, und Margot Krottenthaler überlegt, ob sie nicht an der Bücherei einen Zettel aufhängen soll mit Bitte um Hinweise möglicher Zeugen auf die Täter. Um die schwere Skulptur zu stürzen, müssen sich mehrere Leute zusammengetan haben.

Rätselhaft bleibt, welches Motiv die Täter gehabt haben könnten, eine große glänze Keramik mit prächtigem Faltenwurf in einen Haufen Trümmer zu verwandeln. Viele Bürger verstehen das auch nicht. "Gestern Abend stand sie doch noch so schön da", sagt eine Radfahrerin. "Wer macht denn so was?" Ein Passant schüttelt fassungslos den Kopf: "Was sind das nur für Deppen!" Allerdings hat Florian Marschall auch andere Reaktionen erlebt. Ein Senior habe erkennbar schadenfreudig kommentiert: "So was passiert eben!"

Luisa Koch empfindet die Zerstörung ihrer Skulptur auch als Warnzeichen an die Demokratie: Was eine große Mehrheit gut finde, könne eine kleine rabiate Minderheit zerstören. Margot Krottenthaler von der KVD hätte eine solche Zerstörung gegen ein Kunstwerk vor zehn Jahren noch nicht für möglich gehalten: "Es scheint normal geworden zu sein, dass die Leute meinen, eine Berechtigung zu haben etwas, zu zerstören, weil es ihnen im Wege ist."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4557672
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.08.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.