Süddeutsche Zeitung

Konzert:Ungeheuer virtuos

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Blockflötistin Dorothee Oberlinger und das Orchester "l'arte del mondo" glänzen mit Barockmusik im Schloss

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

"Ist Barockmusik nicht etwas Langweiliges!", rief einmal der bekannte Südtiroler Schriftsteller Herbert Rosendorfer aus. Im fünften Band seiner "Deutschen Geschichte" präzisiert er seine Meinung über die ungeheure "Fülle an Musik, die in der Barockzeit entstanden ist (und, muss man sich ... doch eingestehen, deren großer Teil entsetzlich langweilig ist)". Langweilig war das Dachauer Schlosskonzert mit der Blockflötistin Dorothee Oberlinger und dem Barockorchester "l'arte del mondo" gewiss nicht - vielleicht abgesehen von einem "Ground in c-Moll" des Barockkomponisten Godfrey Finger, bei welchem über einen überaus oft wiederholten absteigenden Bass von nur vier Takten die Oberstimme - hier die Blockflöte - ein Sammelsurium von barocken Wendungen und Floskeln verbreitet.

Die Komposition von Variationen über einen stets gleichbleibenden Bass (= Basso continuo), bei der der Komponist zeigen konnte, wie groß seine Fantasie ist und wie sehr ihm das barocke Figurenwerk zur Verfügung steht, war eine in der Barockzeit weit verbreitete Mode. Händel hat eine Chaconne mit 62 Variationen über einen achttaktigen Bass geschrieben. Händel war aber auch der große Komponist von Blockflötensonaten. In dem von fremder Hand zusammengestellten und als Händels Opus 1 (illegal) herausgegebenen Sonaten-Sammelwerk finden sich vier originale Sonaten für Blockflöte und Basso continuo, während die dort veröffentlichten Sonaten für Querflöte ausnahmslos Bearbeitungen von fremder Hand sind (Bach schrieb keine Sonaten für Blockflöte, nur für Querflöte.)

Die beliebteste und auch leichteste dieser Blockflötensonaten ist die in F-Dur op. 1 Nr. 11. Diese sehr beschwingte Sonate ließ sich Händel abschreiben, um sie als Orgelkonzert zu bearbeiten. Dorothee Oberlinger und "l'arte del mondo" schütteten die beiden Fassungen zusammen und spielten die Sonate (das Konzert) als "Orgelkonzert F-Dur op. 4 Nr. 5 HWV 292 in der Bearbeitung für Blockflöte, Streicher und Basso continuo nach der Blockflötensonate HWV 369". Was man unter diesem sehr umständlichen Titel zu hören bekam, war ein recht schmackhafter Händel-Cuvee. Dann aber wurde es ernst.

Die "Zwölf Concerti grossi op. 6" sind monumentaler Höhepunkt und Abschluss der Entwicklung des Instrumentalkomponisten Händel. So sieht das die Musikgeschichte, "l'arte del mondo" sieht das etwas anders. Es spielte das bekannteste, am häufigsten gespielte Stück dieser Serie op. 6, legte dabei aber weniger Wert auf Monumentalität als auf möglichst interessante Wiedergabe mit raffinierter Strichtechnik und dynamischen Effekten.

Da diesem aus sieben Geigen, zwei Bratschen, zwei Violoncelli und Kontrabas bestehenden Streicherensemble (mit Cembalo und Barocklaute als Basso continuo) die von Händel vorgesehenen Oboen fehlten, musste es sich auf besondere Art und Weise bemühen, klangliche Effekte zu erzeugen - was auch gelang. Händels barocke Monumentalität war's nicht, aber langweilig war es auch nicht. Ein Konzert für Blockflöte und Streicher von Giuseppe Sammartini war der virtuose, musikalisch unproblematische Abschluss zur Pause.

Der zweite Teil gehörte der Flötenmusik von Antonio Vivaldi, diesem immer noch weit unterschätzten Musiker, der rund 600 Konzerte geschrieben hat und von dem böse Zungen behaupten, er habe 600 mal das Gleiche geschrieben. Wie falsch! Allein das für Querflöte und Orchester geschriebene Konzert "La notte" ist ein Traum, "der bald von einem Albtraum unterbrochen wird", wie Dorothee Oberlinger in ihrer schönen Beschreibung dieses bezaubernden Vivaldi-Konzerts feststellt. Eigentlich ist es für Querflöte geschrieben, doch in der überaus plastischen, an der späteren Programmmusik orientierten Wiedergabe war Vivaldis Nacht auch mit Blockflöte präsent.

Das letzte Konzert im Konzert von Dorothee Oberlinger und "l'arte del mondo" war das erste der drei C-Dur-Konzerte, die Vivaldi für Flautino, Orchester und Basso continuo geschrieben hat. Auf der "gar kleinen" Blockflöte geblasen und gepfiffen, wirkt dieses Konzert ungeheuer virtuos, was Dorothee Oberlinger durch heftige Körperbewegungen publikumswirksam unterstrich - und das Dachauer Publikum war hingerissen. Die Entdeckung nach der Pause im Dachauer Schloss aber war ein Concerto grosso D-Dur von Evaristo Felice Dall'Abaco.

Das ist ein Werk, das aus der ungeheuer großen Flut von Barockmusik mit interessanten Themen und sehr kunstvoller, inspirierter Komposition herausragt. Wir in München und Dachau hätten guten Grund, seine Musik mehr zu pflegen; denn Dall'Abaco war von 1715-40 unter Kurfürst Max Emanuel Kammerkonzertmeister und fürstlicher Rat in München. Das Schloss Dachau war ihm gewiss nicht fremd.

Dazu höchstes Lexikon-Lob: Seine Werke "überragen selbst die Werke Corellis an Stärke des Ausdrucks und immanenter Logik".

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SZ vom 06.05.2019
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