Süddeutsche Zeitung

Konzert im Theaterzelt am Moorbadgelände:Gottesdienst für Leonard Cohen

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Eine anrührende Begegnung mit dem kanadischen Dichter und Sänger zum Abschluss der städtischen Reihe "Dachau liest" und zum Auftakt der Internationalen Theatertage

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Thomas Kraft, Literaturwissenschaftler und Biograf des kanadischen Sängers Leonard Cohen, erzählte irgendwas von Masken, mit denen der Lyriker nicht nur im übertragenen Sinn gespielt habe. Dann las er noch einige Gedichte in einem Englisch, dass man sich einen "Native Speaker" wünschte. Vor allem einen, der die Kunst des Vortrags beherrscht. Der groß angekündigte Cohen-Abend als Abschluss der Dachauer Literaturtage und Auftakt zu den Theatertagen näherte sich bedrohlich den üblichen Rückblicken, wie sie im Fernsehen häufig gesendet werden. Letztlich feiert sich der jeweilige Autor im Licht des viel berühmteren Künstlers.

Außerdem schien bei den ersten Songs ("Bird on the wire"), die Laura Wachter vortrug, der leicht raue Einschlag ihrer Stimme einschließlich des jazzigen Timbres nicht so recht zu Cohen zu passen. Aber dann sang sie "Hallelujah", sanft und reduziert. Sie tanzte spielerisch und dezent vokalartistisch - beispielsweise eine gedämpfte Trompete nachahmend - über die Rhythmen der Lieder von Liebe und Verlassenheit. Und sie beendete ihre kleine chronologische Reise durch Cohens Werk mit dem letzten Album "You Want It Darker". Darin verdichtet sich seine gesamte Poesie zu einer resignativen Bilanz, dass eine Million Kerzen angezündet würden, aber keine Hilfe zu erwarten sei. Der Vers lautet: "A million candles burning for the help that never came." Dass der Cohen-Abend ein melancholischer Gottesdienst für den Künstler im Zelt der Theatertage wurde, anrührend und nicht sentimental, lag an Laura Wachter, ihrem Begleiter, dem Gitarristen Steven Lichtenwimmer, und am Schriftsteller Gert Heidenreich.

Erst seine kleine autobiografische Reflexion schuf die Atmosphäre und den geistigen Horizont, in dem der Dichter und Sänger die Zuhörer direkt ins Herz hinein ansprach. Gert Heidenreich ging zurück zum Jahr 1968, als er wie viele andere Studenten damals, für mehr Demokratie in Deutschland protestierte und sich der Hoffnung hingab, diese Republik zu einer offenen zu gestalten. Heidenreich erzählte mit sonorer Stimme, wie er und seine Freunde nach den Demos und heftigen Debatten an den Universitäten auf dem Boden liegend und Wein trinkend Cohen hörten. Seine Lieder "entsprachen in einer Weise uns selbst, wie wir es noch gar nicht wissen konnten." Heidenreich schilderte seinen persönlichen Weg inmitten von Studentenunruhen und utopischen Träumen: "Als ich, damals, 1968, zum ersten Mal seine Gedichtlieder hörte, ahnte ich zwar, dass sich da einer im Widerstand gegen die eigene Resignation übt; aber nicht, dass ich derjenige war und er mir mit seinen Songs klarmachte, in welchem Zustand ich mich befand."

Da brandete im ausverkauften Theaterzelt Applaus auf, verbunden mit einem wiedererkennenden Lachen. Nach der Veranstaltung bedankte sich ein Mann für das Stimmungsbild, mit dem Heidenreich nicht nur sich selbst, sondern auch sein Publikum treffend geschildert habe. Tatsächlich waren die meisten seiner Zuhörer in einem Alter von 60 Jahren aufwärts, die anscheinend die Zeit der Studentenrevolten miterlebt hatten oder an ihnen beteiligt waren.

"Es waren sanfte Abende" mit Cohen. - Als hätte seine leise Nachdenklichkeit und volksliedhafte Musikalität uns zu uns selbst zurückgeführt." Insofern liegt der Schluss nahe, dass Cohen für Heidenreich ein "Rückzugsgebiet" gewesen sei, "ein Kissen, in das wir uns nach getanem Aufstand fallen lassen konnten". Tatsächlich aber war es die Dichtkunst selbst, die Ruhe und Trost gewährte: "Wehrlosigkeit und Lebenstrauer, aufgefangen in Poesie." Sie war der Trost eines Mannes, der wenigstens seine Lieder hatte. Auf die Frage, was er für die Welt nach dem Fall der Mauer erwartet, sagte Cohen: "Murder." Am Ende brannte im Dachauer Theaterzelt eine Kerze für ihn.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2017
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