Süddeutsche Zeitung

Kirchen und Corona:Neue Wege zum Glauben

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Mit Online-Andachten, Facebook-Botschaften, Briefen und Telefongesprächen versuchen die Pfarrer im Landkreis Dachau, die Gläubigen zu erreichen und ihnen Halt in der Krise zu geben

Von Mona Marko, Dachau

In persönlichen, nationalen oder - wie es derzeit der Fall ist - globalen Krisen, hoffen viele Menschen, Halt im Glauben zu finden. Doch was, wenn auch die Kirche von der Krise betroffen ist? Gottesdienste, Firmungen, Chorproben, Musikgruppen oder Seniorennachmittage entfallen bis zum 19. April. Dabei wäre es vor allem für ältere und einsame Menschen essenziell, sich auf die seelsorgerische Hilfe und die Tradition der Gottesdienste verlassen zu können.

Pfarrverbände und evangelische Kirche versuchen nun, neue Wege zu finden. "Die Menschen dürfen in dieser angespannten Zeit nicht zu uns kommen, darum überlegen wir mit Eifer, wie wir zu den Menschen kommen können", sagt Thomas Körner, Pfarrer an der evangelischen Friedenskirche in Dachau. Ein Transparent hängt bereits am Kirchturm, Briefe wurden verschickt und Onlinevideos ins Netz gestellt. Auch bei den Katholiken stellt man sich um: Der Pfarrverband Dachau Heilig Kreuz und St. Peter bietet neuerdings Internetandachten an.

Initiiert hat dies Gemeindereferent Markus Grimm. "Natürlich waren wir alle am Anfang sehr überrascht von der Situation und von all den Absagen, die herein prasselten", erzählt er. "Dann haben wir jedoch gemerkt, dass wir es trotzdem schaffen können, die Menschen zu erreichen - aber eben auf andere Art und Weise". Am 15. März, am ersten Sonntag, an dem der Gottesdienst entfiel, stellte Grimm sich alleine in die leere Kirche, trug das Evangelium vor und stellte das ganze auf YouTube. "Ich konnte mich auf diese Situation im Vorfeld nicht vorbereiten, ich habe einfach improvisiert. Außerdem haben wir ja gar nicht die technischen Voraussetzungen dafür, geschweige denn das Wissen. Wir wollten jedoch das Signal senden, dass wir trotz allem für die Menschen da sind und sie nicht vergessen", erzählt der Gemeindereferent. In unregelmäßigen Abständen stellt er seit dem in Zusammenarbeit mit den beiden Wortgottesdienstleitern Katrin Ludwig und Herbert Kalter sowie der Kirchenmusikerin Gabriele Schneider Videobotschaften und kleinere Andachten auf die Website des Pfarrverbands.

Auch vonseiten der Erzdiözese München und Freising gibt es Angebote, die fleißige Kirchengänger wahrnehmen können. Seit dem 15. März wird täglich ein Gottesdienst aus der Sakramentskapelle des Münchner Liebfrauendoms live im Internet und im Radio übertragen. Zudem werden die Videobotschaften in schriftlicher Form in den Kirchen ausgelegt oder in Briefkästen verteilt, um auch Menschen ohne Internetzugriff zu erreichen.

Auch der Pfarrverband von Röhrmoos und Hebertshausen folgt dem Beispiel der Erzdiözese. "Wir halten uns zwar ganz strikt an die Vorschriften, aber versuchen trotzdem für alle da zu sein", sagt Pfarrer Michael Bartmann. Man drucke Gebete aus, hänge sie in Schaukästen oder schicke sie an die Menschen, die regelmäßig zum Gottesdienst gehen. In den Tagen vor Palmsonntag habe man versucht, Menschen dazu zu animieren, im Homeoffice Palmbuschen zu basteln, um sie vor die Haustür älterer Menschen zu legen. "Aber auch für die anstehende Osterfeier sind einige Aktionen in Planung", so Pfarrer Bartmann. So soll der Ostersonntagsgottesdienst per Livestream in die Wohnzimmer gesendet werden.

"Ich bin ganz beeindruckt von der Eigeninitiative vieler Menschen, vor allem von den Pfarrgemeinderäten. Jeder versucht die aktuelle Situation bestmöglich zu meistern", sagt Pfarrer Bartmann anerkennend. Markus Grimm vom Pfarrverband Dachau Heilig Kreuz und St. Peter lobt vor allem das Engagement der Nachbarschaftshilfe, die derzeit sehr gefragt ist. "Im Rahmen dessen bieten wir vor allem älteren Menschen Hilfe an", erklärt er. Einige Jugendliche hätten sich auch bereit erklärt zu helfen.

Außerdem sei eine Aktion für Kinder und Familien in Planung, so Grimm. "Wir wollen den Kindern Angst und Langeweile nehmen, indem wir eine Kreativaktion starten." Im Rahmen dessen sollten Kinder gestalterisch ausdrücken, wie das Coronavirus für sie persönlich aussieht und wie sie es bekämpfen würden. Der Kreativität seien keine Grenzen gesetzt. "Sie können etwas malen, basteln, ein Lied singen, ein Gedicht oder eine Geschichte schreiben. Wir wollen die Kinder einfach dazu animieren, sich mit dem Virus auseinanderzusetzen. So wollen wir aus dem abstrakten und auch traumatisierenden Virus etwas machen, das für die Kinder greifbar ist." Die Ergebnisse der Aktion sollen im Anschluss in einer virtuellen Galerie ausgestellt werden. "Und wenn das Schlimmste vorüber ist, wollen wir eine echte Ausstellung machen." An der Ausschreibung der Aktion arbeitet Grimm noch.

Ältere Menschen zu erreichen, die meist kein Internet haben, sei dagegen bedeutend schwieriger, sagt Grimm. "Gott sei Dank sind die Kirchen noch offen. Man merkt, dass Menschen das auch nutzen und oft alleine in die Kirche kommen, um zu beten oder um eine Kerze anzuzünden." Aus diesem Grund sei es derzeit wichtig, Gebete auszudrucken und in den Kirchen auszulegen. "Auch die Nummer unseres Pfarrers Heinrich Denk steht auf den Infoblättern, dort können Menschen, die reden wollen, gerne anrufen. Seelsorge ist zurzeit enorm wichtig."

Das größte Problem ist jedoch, dass vor allem ältere Menschen völlig isoliert zu Hause sitzen, weil sie zur Risikogruppe zählen. Seelsorge per E-Mail und Telefon ist daher gefragter denn je. Das bestätigen sowohl Pfarrerin Ulrike Markert von der evangelischen Gnadenkirche in Dachau, als auch ihr katholischer Kollege Bartmann vom Pfarrverband Röhrmoos-Hebertshausen. "So sind wir mit den Menschen, die Gesprächsbedarf haben, immer verbunden", sagt er.

Die Coronakrise biete aber auch die Chance, die Kirche neu zu entdecken, sagt Markus Grimm. Tägliche Videobotschaften auf Facebook, die verstärkte Nutzung von Social Media oder Gottesdienste per Livestream - in den vergangenen Tagen habe sich unheimlich viel getan. Kollegen aus Dachau, aber auch aus anderen Teilen Bayerns probierten plötzlich Neues aus. Und die Menschen holten sich die Kirche nach Hause, meint Grimm. Das ist auch eine Art den "Glauben gemeinsam" zu praktizieren.

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Quelle:
SZ vom 09.04.2020
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