Süddeutsche Zeitung

Karlsfeld:Volksfestfan mit 86

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Seniorin Verena Hanke genießt die Atmosphäre

Von Julian Erbersdobler, Karlsfeld

Verena Hanke bestellt eine Cola. Ihr Schwager Erwin bleibt klassisch: ein Hendl mit Semmel, dazu Krautsalat und eine Weißbier-Maß. "Ich kann gar nicht genau sagen, wann wir das erste Mal hier waren", sagt die 86-Jährige. Jedenfalls sei sie schon seit Januar 1947 in Karlsfeld. Sie kommt aus Schlesien, ihr Schwager, stolze 91, ist Siebenbürgener. "In der Anfangszeit wurden wir aus der Ludlkapelle gejagt", erinnert sie sich. Wie viele andere Flüchtlinge mussten sich auch Verena Hanke und ihre Verwandten wüste Beschimpfungen anhören.

"Aber das war damals überall so", merkt Schwager Erwin an. Mittlerweile haben beide ihren Frieden mit Karlsfeld geschlossen. Mehr noch: "Ich bin in Schlesien geboren, aber in Karlsfeld zu Hause", sagt Verena Hanke mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Und das liegt auch am Siedler- und Seefest. Sie erinnert sich: "Als wir in den ersten Jahren da waren, gab es nur Buden und vielleicht ein Fahrgeschäft." Wieder meldet sich ihr Schwager zu Wort: "Früher war hier gar nichts los." Und trotzdem waren sie jedes Jahr wieder da - wegen der "Atmosphäre". Verena Hanke schaut kurz nach links, dann lächelt sie und sagt: "Erwin, weißt du noch, als es uns noch besser ging, waren wir fast jeden Tag hier." Er nickt und beißt von seinem Hendl ab. Damals sei Karlsfeld aber auch nur ein Dorf mit ein paar Häusern gewesen.

1954 zog es Verena Hanke gemeinsam mit ihrem Bräutigam für ein Jahr in die Ferne: nach Texas, USA. Besonders gut kann sie sich noch an das Segeln im Golf von Mexiko erinnern. Nach einem Jahr ging es dann aber wieder zurück nach Karlsfeld. Schließlich wohne sie direkt neben dem See und damit auch in Festzeltnähe.

Was sie sich noch von diesem Seniorennachmittag am Dienstag auf dem Siedler- und Seefest erhofft? "Ich möchte mit Herrn Bürgermeister Kolbe sprechen! Es geht um die Straßenbeleuchtung. Die sei seit einiger Zeit "schlimmer als in der ehemaligen DDR". Just als sie den Satz zu Ende bringt, setzt die Blaskapelle ein. Stolz erzählt Verena Hanke, dass sie zwei Musiker aus dem "Chor" kenne. Dann nimmt sie einen kräftigen Schluck Cola und wippt im Takt.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2015
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