Süddeutsche Zeitung

Karlsfeld:Am Wendepunkt

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Jetzt muss die Initiative "Grünzug" entscheiden, ob sie den Karlsfelder Kompromiss unterstützt oder zum Bürgerentscheid aufruft

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Bis zur Sitzung des Karlsfelder Gemeinderats vor wenigen Tagen ließen sich Gegner und Befürworter eines Gewerbegebiets im Grünzug in zwei unversöhnliche Lager teilen, die beide mit Horrorszenarien aufwarteten. Für die Naturschützer wäre ein Gewerbegebiet der Anfang vom Ende des Mooses zwischen Karlsfeld und Dachau gewesen. Eine Kettenreaktion würde einsetzen, fürchteten sie, die Naturräume würden Stück für Stück beschnitten, bis nur noch karge Reste übrig wären. Und die, ihrer ökologischen Funktionen beraubt, würden auch bald zubetoniert.

Die Gegenseite plagten ebenfalls schlimme Vorstellungen, was passieren könnte, wenn, ja, wenn das Gewerbegebiet nicht rasch gebaut würde. Karlsfelds Wirtschaftsförderer Peter Freis sagte, es gehe gar nicht vorrangig darum, neue Einnahmen für die finanziell gebeutelte Gemeinde zu generieren, sondern den Wirtschaftsstandort zu retten. Freis schilderte die Lage hochdramatisch. Einige wichtige Gewerbebetriebe mit bis zu hundert Mitarbeitern seien schon abgewandert, weitere planten, es zu tun. Selbst ein neues Gewerbegebiet, das unter günstigen Bedingungen vielleicht schon in drei bis fünf Jahren bezugsfertig wäre, käme für sie zu spät. "Wir reden die ganze Zeit darüber, ob wir ein neues Gewerbegebiet brauchen", sagte er. "Wir sind schon dabei, das alte zu verlieren. Unser Wirtschaftsstandort wird schweren Schaden nehmen."

Aber seit vergangenem Donnerstagabend, seit der denkwürdigen Sitzung des Gemeinderats, eröffnet sich eine Perspektive, wie die Mandatsträger das Eintreten beider Horrorszenarien vermeiden könnten. Der Kompromiss lautet: Das Gewerbegebiet kommt, parallel dazu entsteht ein weit gefasstes Landschaftsschutzgebiet, das das Moos vor weiterer Zersiedelung bewahrt. CSU, SPD und die Gewerbegebietsgegner vom Bündnis freuten sich. Umweltreferentin und Bündnis-Sprecherin Mechthild Hofner sprach von einem "Paradigmenwechsel".

Der verändert zwar nicht die Fakten, aber den Blick auf sie. Karlsfeld gilt an sich als guter Wirtschaftsstandort: direkt an der Grenze zur Landeshauptstadt, beste Verkehrsanbindung an die Autobahn, Flughafennähe und weiche Standortfaktoren wie gute Wohn- und Freizeitqualität. Aber die Flächen fehlen, und seitdem Microsoft seine Zentrale in Unterschleißheim aufgegeben hat, gibt es dort viele freie Gewerbeflächen. "Viele Unternehmen schielen jetzt nach Unterschleißheim", sagt Freis. Das alte Gewerbegebiet ist vom Zuschnitt nicht mehr zeitgemäß, viele Flächen müssten saniert werden. Aber sanieren ließen sie sich nur, wenn die dortigen Betriebe über Reserveflächen verfügten. Die Naturschützer müssten dafür das Areal des Gewerbegebiets verloren geben. Nun ist die entscheidende Frage: Ist der Kompromiss auch für die Mehrheit der Bürgerinitiative Grünzug Dachau und Karlsfeld akzeptabel? Am Montag, 5. Oktober, entscheidet die Initiative, ob sie zum Mittel des Bürgerentscheids greift.

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Quelle:
SZ vom 29.09.2015
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